Reflexionenvon Laura Sark
Tagein, tagaus warte ich darauf, dass du vorbeikommst, mir einen deiner kostbaren Blicke schenkst und dich ein wenig zu mir stellst.
Ich fühle mich vernachlässigt. Früher bist du viel öfter vorbeigekommen.
Früher hast du mich sogar angelächelt.
Heute wirkt jedes Lächeln, mit dem du mir begegnest, gezwungen. Wenn du überhaupt lächelst, kommt ja selten genug vor.
Ich will nicht egoistisch sein, aber ich sehne mich nun mal nach Anerkennung. Nach der Freude, die in deinem Lächeln mitgeschwungen hat. Früher.
Auch Grimassen wären mir recht, weißt du? Wie damals, als du noch auf allen Vieren über den Boden gekrabbelt und nach zwei wackligen Schritten wieder umgefallen bist, damals hast du mich noch als Gleichgesinnten angesehen. Stundenlang bist du bei mir gesessen und hast mir Gesellschaft geleistet. Manchmal hast du mir Geschichten erzählt, manchmal auf meiner Oberfläche deine eigenen Umrisse nachgefahren, manchmal bist du im Kreis gewirbelt, die Augen immer auf mir. Du hast nie weggeschaut. Früher waren wir Freunde, wir zwei.
Alles muss eines Tages zerbrechen, nicht nur ich oder die Vase neben mir. So gehen auch die engsten Freundschaften mit der Zeit in die Brüche. Mir war klar, von Anfang an, dass wir uns nicht ewig so nah sein würden, schließlich seid ihr Menschen immer so schnell mit euren Urteilen. Was ihr alles zu denen sagt, die zu viel Zeit mit mir verbringen!
Eitel, heißt das dann, eitel und selbstbezogen, eingebildet oder gar narzisstisch. Würdest du immer noch mit mir sprechen, würden sie vielleicht zu Worten wie verrückt oder nicht ganz richtig im Kopf greifen.
Ich fordere ja auch gar nicht, dass wir wieder so vertraut miteinander umgehen wie früher, wie lange war das her? Menschliche Zeitrechnung war noch nie meine Stärke. Manchmal, wenn du dich lange nicht mehr hast blicken lassen, versuche ich die Zeiger der Uhr auf der Wand mir gegenüber zu verfolgen. Ich halte nie sehr lange durch. Die Uhr ist langweilig gegen dich.
Wie die Zeit dagegen dahinfließt, wenn wir uns sehen! Du bist das Besondere in meinem Alltag, die Farbe in meinem Leben. Die Uhr läuft doppelt so schnell, wenn du an mir vorbekommst. Das muss dir doch auch auffallen, oder?
Trotzdem hast du manchmal nicht den geringsten Blick für mich übrig. Ich kann ja verstehen, dass du es eilig hast. Hätte ich zwei Beine und etwas zu erledigen, würde ich es wohl auch so machen wie du und nicht tagaus, tagein auf die Wand vor mir starren.
Es ist immer so enttäuschend, wenn du an mir vorbeirauschst, ohne nach links und rechts zu schauen. Ich sehne mich nach deiner Gesellschaft, und wenn du mich ignorierst, fühlt sich das an, als würden kleine Splitter von mir abbrechen.
Am schlimmsten aber sind die abwertenden Blicke. Ich sehe sie genau, fühle deine eigene Unzufriedenheit. Wenn du mich anschaust, ist es immer so, als würdest du bis in mein Innerstes blicken, und so geht es mir auch bei dir. Ich sehe, dass du nicht mehr glücklich bist über das, was ich dir bieten kann, ich spüre es an jedem kalten, verzweifelten, manchmal gar angeekeltem Blick.
Es tut mir weh, weißt du? In solchen Momenten wünsche ich mir manchmal, mein hängendes Dasein gegen das eines Menschen auszutauschen, einfach nur, um dich besser verstehen zu können, und dir zu widersprechen.
Denn das, was du in mir glaubst zu erkennen, ist ein Irrtum, muss ein Irrtum sein. Könnte ich dir nur sagen, dass du mein liebster Mensch bist, mich so glücklich machst! Noch nie habe ich etwas gesehen, das dir gleichkommen könnte.
Aber meine Worte bleiben ungehört, meine Gefühle unverstanden. Anscheinend kannst du mir meine Gedanken nicht vom Antlitz ablesen.
Aber natürlich würdest du das auch erst schaffen, wenn du genauer hinschaust, und das tust du nicht. Meistens streifen mich deine Augen nur kurz, und statt einem sanften Streicheln ist es ein spitzer Stich, den sie mir versetzen.
Nur weil ich kein Herz habe, heißt das noch lange nicht, dass du mir nicht wehtun kannst. Ich bin nun einmal von Natur aus sehr zerbrechlich. Wenn du mich schon meistens links liegen lässt, strafe mich dann nicht auch noch in den kurzen Momenten, die uns noch bleiben, mit deiner Missachtung.
Wie gesagt, ich will nicht viel. Im Grunde genommen bin ich doch sehr genügsam, immer ein geduldiger Zuhörer, stets bereit, mich voll und ganz meinem Gegenüber zu widmen. Ich bin, wenn ich darüber reflektiere, doch ein sehr passives Wesen. Aber, wenn ich einen Wunsch frei hätte, müsste ich keinen Moment lang nachdenken. Ich würde mir ein Lächeln von dir wünschen. Ein echtes, ehrliches Lächeln voller Freude und Offenheit, ein Lächeln, wie du es mir früher immer geschenkt hast.
Solange kann ich nur hier an deiner Wand hängen, mich in der Sonne spiegeln und warten auf dich. Auf dich und dein Lächeln.
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