Regentschaft
"Stell dein Herz über deinen Kopf! ", sagen sie. "Versuche deine Krankheit und deinen Kopf auszuschalten! ", verlangen sie. "Erinnere dich doch bitte an alles, was wir erlebt und unternommen haben! ", wollen sie.
Also stelle, versuche und erinnere ich. Doch es ist nicht leicht, mit meiner Krankheit umzugehen. Niemand versteht mich, hört zu und hilft. Sechzehn lange, schmerzvolle Jahre habe ich versucht zu verändern, anzupassen und normal zu sein. Nicht geschafft. Immer nur vorgetäuscht und belogen.
Meine Krankheit lässt mich jeden Tag anders sein. Ohne Erinnerungen und Gefühle vom Tag zuvor. Was ich weiß? Ich bin krank. Die Frau, die in dem Haus ist, in dem ich lebe, und der Mann, der mich immer ins Bett bringt, sind meine Eltern. Das junge Mädchen, meine Schwester. Der Junge, der bei uns ein und aus geht, angeblich mein fester Freund.
Er sagt: "Ich bin immer für dich da. Ich helfe dir, wie ich nur kann. Ich liebe dich. " Doch wie kann man einen Menschen lieben, der die Welt jeden Tag mit anderen Augen sieht? Weiß ich überhaupt, was Liebe ist?
Heute ist ein trostloser Tag. Ich bin unzufrieden mit mir. Heute sind mir Makel an meinem Körper aufgefallen, die ich verändern möchte. Doch morgen werde ich sie alle wieder vergessen haben.
Mein Therapeut sagt, dass mein Tagebuch mich befreien soll. Es sagt mir, dass ich gestern nach Japan, Indien, China, Thailand und Taiwan reisen wollte. Nie stillstehen. Nie an einem Ort bleiben.
Doch heute? Heute will ich am liebsten sterben.
Dem Tagebuch nach will ich oft sterben.
Abends im Bett versuche ich angestrengt und verzweifelt, in meinem Gehirn nach der Antwort, nach der Erinnerung zu forschen. Es ist wie eine große Halle, in die ich hineinrufe und schreie.
Doch diese Halle ist leer. Zurückschallt nur meine eigene Stimme, die mir klar macht, dass ich allein bin. Ganz allein.
Denn egal, was ich erlebe und nicht erlebe, was ich mir wünsche und was in Erfüllung geht, was ich ganz mache und zerstöre - am nächsten Tag ist dort immer wieder nur Leere.
Denn diese Halle lässt sich nicht füllen.
Meine Welt wird leer bleiben.
Denn ich kann nichts über meinen Kopf stellen.
Mein Kopf regiert mein ganzes Leben.
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