Reue oder Erleichterung?
Das Helfersyndrom- ein Phänomen in der Psychologie, bei dem eine übermäßige Selbstaufopferung zu negativen Auswirkungen für die Betroffenen führen kann. Ich finde, das wäre eine passende Erklärung für mein Verhalten an jenem Tag. Naja, jetzt kann ich nachvollziehen, warum meine Eltern früher öfter erwähnten, dass jederzeit alles passieren kann. Es war etwas Ungewöhnliches zu erleben. Ich meine, bei einem Überfall in meiner Klasse dabei zu sein und mich zudem aufopfernd entführen zu lassen, waren nicht auf meiner "Bucket-Liste". Bis jetzt überlege ich noch, wie sich meine Schulkameraden gefühlt haben, als sie mich neben einem maskierten Mann gesehen haben, der eine Waffe an meinem Kopf gerichtet hielt. Vielleicht hätten mich manche dafür bewundert, aber ich beginne es bereits zu bereuen. Doch warum? Warum habe ich mir das zugemutet? Eine Beziehung zu den Menschen in meiner Klasse hatte ich nicht. Wäre ich nur wie die anderen stillgesessen, müsste ich jetzt nicht die Konsequenzen tragen.
Auf einem unbequemen Stuhl sitzend, sind meine Hände hinter meinem Rücken gefesselt, eine Augenbinde um meine Augen, eine Wäscheklammer auf meiner Nase. Ich kann nichts sehen, nichts riechen und nichts fühlen, nur das Geräusch meines leisen Atems erfüllt meine Ohren. Es ist unmöglich, meinen Standort, zu erahnen. Dafür herrscht eine viel zu große Stille im Raum.
Was wird passieren? Steht mir eine gewaltvolle Folterung oder eine sexuelle Misshandlung bevor? Wenn ich Glück habe, bleibt mir beides erspart und stattdessen trifft mich ein einfacher Schuss in den Schädel. Zum ersten Mal in meinem Leben sind mir die Gefühle anderer einen Dreck Wert und ich mache mir wirklich Sorgen, was mit mir in den nächsten Minuten, Stunden, Monaten oder sogar Jahren passieren wird.
Ich kann meine Herzschläge immer schneller schlagen hören. Um nicht psychisch durchzudrehen, versuche ich meinen Mund zu öffnen und irgendetwas zu sagen. Aber nein, das geht nicht. Meine Lippen zittern, meine Zunge hält sich zurück und ich bringe keinen Ton heraus. Nicht weil es physisch unmöglich ist, sondern aus der Angst, nach einem Wort nie wieder zu reden aufhören zu können. Ein sinnvollerer Grund wäre, um meinen Entführern nicht aufzufallen und ihnen mein Bewusstsein zu verdeutlichen. Sie könnten mir schaden und-
Warum wehrst du dich dagegen an? Ist das nicht, was du schon immer wolltest? Sich von allem und jedem zu entfernen? Zu verschwinden?
"Halt die Klappe! ", schreie ich plötzlich raus. Oh nein, ich habe meiner inneren Stimme geantwortet. Nun bin ich wohl echt durchgedreht.
"Ich habe doch noch gar nichts gesagt. " Wenn nicht ein Tuch gegen meine Augen gepresst wäre, wären sie vor Schreck weit aufgerissen.
Wer hat das gesagt? Wann hat diese Stimme den Raum betreten? Oder war sie schon immer hier? Welcher Psycho, könnte so lange und so still in einem Raum stehen, ohne dass ich einen Atemzug hören konnte. Mir läuft es kalt den Rücken runter und dann höre ich nur noch:
"Also, meine Liebe. Sollen wir anfangen? "
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