Reue
Ich mag vielleicht nur eine rosafarbene Rose sein – die bald sterben wird, damit vielleicht ein junger Mann seine Freundin überraschen kann, aber das macht mir nichts aus.
Was ich aber gar nicht nachvollziehen kann, ist, wenn man Rosen wie mich als Entschuldigung verwendet, nachdem man jemanden verletzt hat. Du kannst nicht eines meiner Rosenblätter abreißen und mit dem Wort „Entschuldigung“ versuchen, es wieder dorthin zu kleben. Menschen geht es genauso. Ein einziges Wort verletzt sie. Vielleicht zeigen sie ihre Schmerzen nicht, aber sie verbluten innerlich und beginnen sich von allem auszugrenzen. Viele brauchen nur, dass jemand ihnen zuhört und ihnen das Gefühl von Geborgenheit und Schutz schenkt.
Ich werde von den auf mir ruhenden Blicken eines Mannes aus meinem Gedankenfluss gerissen. „Die hier“, sagt er, auf mich mit seinem Zeigefinger deutend, in einem Ton, als wäre er in Eile. Florencia, unsere junge italienische Floristin, wickelt mich in Papier und übergibt mich dem Mann, der mit mir in seiner Hand auf sein Auto zusteuert.
Später klopft er mit einer Hand an die Tür eines Krankenzimmers. In der anderen Hand hält er mich. Das Zimmer ist mit rosa Rosen geschmückt, das Fenster steht weit offen. Die Sonne strahlt zwar in das Zimmer, aber nicht in die Seele der krank im Bett liegenden jungen Frau. Der Mann will mit ihr reden, doch die Frau will nicht. Er senkt seinen Blick und steckt mich zu den anderen Rosen in die Vase.
„Sie hat Brustkrebs. Die Ärzte sagen, dass es keine Hoffnung für sie mehr gibt.“, sagt eine Rose zu mir. „Was hat er getan?“, frage ich. „Pavel, hat ihr viel mehr Leid angetan als Liebe gegeben.“
„Nimm deine Rosen und lass mich in Ruhe.“, sagt die Frau zu Pavel.
„Ich will aber bei dir sein, Marie.“ Er versucht ihre Hand zu halten, aber sie lehnt ab. Seufzend setzt er sich auf den neben dem Bett stehenden Stuhl.
„Du hast mich jeden Tag im Stich gelassen und willst mich jetzt, wo ich bald diese Welt verlassen werde, nicht alleine lassen? Du bist derjenige, der meine Seele verletzt hat und bettelst nun mit deinen Rosen um Vergebung, nur, damit dein schlechtes Gewissen dich nicht auffrisst, wenn ich unter der Erde liege?“.
„Es tut mir leid“, stammelt er. Marie kämpft mit den Tränen und will sie verstecken, aber Pavel holt ein Taschentuch aus seiner schwarzen Lederjacke und wischt sie ihr ab.
„Geh. Bitte.“ Die Worte klingen bitter.
„Ist das dein letzter Wunsch an mich?“ Pavels Stimme bricht.
„Nimm die Rosen mit.“
„Aber du liebst sie doch!“
„Dich habe ich viel mehr geliebt.“
Er steht auf und geht auf uns zu.
„Auf Wiedersehen, Marie.“
„Leb’ wohl, Pavel.“
Maries Begräbnis fand vor zwei Tagen statt. Wir Rosen sind inzwischen auch alle gestorben. Pavels Gesichtsfarbe ist weiß. Sein Schuldgefühl wird von Tag zu Tag schlimmer und er sieht kein Licht mehr am Ende des Tunnels.
„Wir werden uns wiedersehen, Marie“, sind seine letzten Worte, bevor er das an der Decke angebundene Seil um seinen Hals wickelt und den Hocker unter seinen Füßen umstößt.
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