Rotbraune Zangen
43 824 Stunden.
Korn um Korn wird sämtlicher Sand von dem unscheinbaren Lebewesen unsanft ausmanövriert. Die kontrastreich roten Zangen rücken ihn nahezu mutwillig fort. Ganz so, als würde sich das sandige Puzzleteil unmöglich in die Lücke der ihr vertraut reflektierten Oberfläche integrieren. Und binnen einzelner Augenblicke – das Geschöpf prangt einen Zentimeter weiter – entgleitet mir die rote Kreatur wie ein flüchtiger Schatten, der in Erinnerung verblasst. Rund um mich Gewässer, Gelächter, Gesichter. Dein Gesicht. Wie es mein Blickfeld kreuzt. Mit den glänzend braunen Augen. Nein, rotbraun waren sie. So wie die Zangen des Tiers. Denn wenn ich braun sagen würde, dann wäre das gelogen.
35 063 Stunden. 55 Minuten.
Die Sekunden sind mir entfallen. Oder war es eine? Nein, auch das wäre gelogen. Ich weiß es nicht mehr. Zu weit weg. Zu unbedeutend. Die Zeit. Doch dein Lächeln, wie es sich bedacht auf meinem widerspiegelt, die Spaziergänge, Sonnenuntergänge. Solche Dinge eben. Die vergesse ich nicht so schnell. Wie das reflektiert rote Wasser von unseren Füßen durchtrennt wird - sich der Totalität weitend - doch post einer subtilen Sekunde wiederholt vom Meer eingeholt wird. Inmitten das rote Lebewesen. Welches täglich unseren Weg kreuzt. Dessen Zangen die gleichen Wellen berühren wie wir.
26 303 Stunden. 38 Minuten.
Verflossen spüre ich deine Hand in meiner. Beinahe wie eins. Spüre das Klopfen deines roten Organs. Etwas differenziert. Der Takt? Alles verschwommen. Der Knoten im Brustbereich, den ich mit meiner Hand streife. Das unterbrechende Husten. Die Maske, welche deinen rotbraunen Augen den Glanz geraubt hat.
17 543 Stunden. 23 Minuten.
Bedacht entzieht sich der Sauerstoff der Luft, erahnend der folgenden Augenblicke. Als Konvention flattert ein Zettel vor unseren Augen. Der Ursprung verwurzelt bis zur Person im weißen Kittel. Ich nicke nur. Mein Blick schweift zu dir. Wie du zittrig in dir zusammensackst. Du mir ein Jahrzehnt älter erscheinst. Der rotbraune Glanz. Schwindend. So wie das rote Lebewesen. Die Zangen. Der Sand. Wie er unsanft weggeschoben wird.
8 759 Stunden. 11 Minuten. 1 Sekunde.
Nicht mehr. Nicht weniger. Vermutlich hätte ich sie auch weglassen können. Aber jetzt. Jetzt erscheint sie mir wertvoll. Ich muss dich stützen, allein bist du zu schwach. Begleitet wirst du von einer schweren Flasche. Mit Sauerstoff. Damit du eine weitere Sekunde wie diese erleben kannst. Mit der roten Kreatur am Meer.
0 Sekunden.
Korn um Korn, wird sämtlicher Sand von dem unscheinbaren Lebewesen unsanft ausmanövriert. Die kontrastreich roten Zangen rücken ihn nahezu mutwillig fort. Ganz so, als würde sich das sandige Puzzleteil unmöglich in die Lücke der ihr vertraut reflektierten Oberfläche integrieren. Und binnen einzelner Augenblicke – das Geschöpf prangt einen Zentimeter weiter – kreuzt es mein Blickfeld. Das rote Lebewesen. Der Krebs. Mit deinen rotbraunen Zangen. Ich will ihn dir zeigen. Greife nach deiner Hand. Leere.
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