Rote Wiese
Wir laufen über die rote Wiese, schlängeln uns durch das dichte Labyrinth der Pflanzen. Wir fühlen uns wie im Dschungel, unser ganz persönlicher Dschungel. Wir laufen so schnell wir können, schneller sogar. Wir atmen die feuchtheiße Luft tief ein, den Duft der Röte, und atmen nicht aus. Wir drehen uns im Kreis, wir laufen im Hopserlauf. Unsere Köpfe sieht man nur, wenn wir ganz hoch springen, so hoch sind die Mohnblumen.
Wir gelangen zum Eingang, zur Pforte zu unserer Kindheit. Wir treten ein, unsere Körper heben und senken sich heftig, wir finden unser Versteck. Ein kleiner kahler Halbkreis, von Unkraut belebt, ist unsere Höhle, dort, wo unsere Tagträume real werden. Wir legen uns ins nasse Gras und wir wissen, dass uns unsere Eltern wegen der grünen Flecken tadeln werden. Und es ist uns egal.
Wir sehen hinauf zu den Zuckerwattewolken, die von der Abendsonne beleuchtet zu Musen unserer Phantasie werden. Wir lassen uns auf den Zauber der Wassertropfen hoch oben in der Atmosphäre ein und was wir auch sehen, wird real. Wir erzählen einander Geschichten, über verwunschene rosa Drachen, die zu mächtigen Bäumen wurden und über die verzweifelten Versuche oranger Hühner, ihre besten Freunde zurück zu verwandeln. Unsere Märchen enden nicht, denn wir lernen ein surfendes Nilpferd kennen und manchmal, aber nur manchmal, erscheint uns die bucklige, sonnengelbe Hexe, die genüsslich an ihrem Gin Tonic nippt und Gedichte rezitiert. Wir erleben die besten Geschichten und treffen die verrücktesten Leute. Wir sehen und wir fühlen und was wir fühlen, ist nicht zu unterscheiden von dem, was wir sehen.
Wir erzählen bis die Sonne untergeht und die Nacht hereinbricht, die Wesen wieder Zuckerwatte ohne Leben werden. Wenn der Mond scheint, wissen wir, es ist Zeit nach Hause zu gehen, die mahnenden Blicke der Eltern vor Augen. Aber wir entscheiden uns von den violetten Taubnesseln zu kosten, die ringsum um unsere Höhle wachsen. Wir geben der Versuchung nach, schmecken die pure Süße auf der Zungenspitze. Wir fühlen uns pudelwohl in unserer Haut, so klein wir auch sind, inmitten der vielen Mohnblumen.
Wir brechen auf, verlassen unser Versteck, denn der Mond lässt uns frieren. Wir sehen einander an, unsere Hosen grün wie Efeu, unsere Augen groß und wach. Unsere Seelen satt und voller Leben. Wir verschränken unsere Finger ineinander und gehen ruhig und gemächlich, Hand in Hand, den Weg zurück. Wir sehen uns an, nicht durch uns hindurch, und wir wissen, dass uns unsere Eltern vorwurfsvoll erwarten. Wir sehen uns an und wir haben Mitleid mit denen, die uns nicht verstehen können. Wir sehen uns an und fühlen, wir sind leicht.
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