Salz
>Geh jetzt, bitte<
Sagte sie mit Salzkristallen zwischen den Zähnen. Salzkristalle, die er mit Sternen verglich. Salzkristalle, die Sterne waren. Sie strahlten auf ihren Wimpern, überall dort, wo das Meer sie nicht mehr erreichen konnte. Sie tanzten über ihren schmutzigen Rücken, und spalteten ihn in mehrere Teile. Sandkörner sangen über ihrer Oberlippe, bevor sie von frischen Tränen an die Hand genommen wurden.
>Geh, bitte<
Und er ging. Denn die Worte aus ihrem Mund brannten wie Salz in einer offenen Wunde. Sie waren in einer Wunde. Und auch sonst überall war es salzig. Zwischen seinen Zehen und Fingernägeln, Kleidung und Kopfhaut. Er schmeckte die See auf seiner Zunge, salzig war sie. Nach diesen zwei Worten war alles für ihn versalzen. Wie das Meer, nein nicht das voll mit Wasser, das Gefühl, weggespült. War noch auf keiner Bühne und nicht welthistorisch wichtig, aber wahrhaftig.
>Geh<
Nur wohin? Wohin sollte er denn jetzt noch gehen? Das Meer lag in Flammen, und der Wind lachte ihn lauthals aus. Sein Herz summte verzweifelt laut, so laut es eben konnte. Doch das half nichts, seine Ohren wollten es nicht hören. Also rannte er, er wollte nicht rennen. Natürlich wollte er nicht rennen! Er wollte gehen, oder nein. Er wollte sitzen, oder nein, liegen am besten. Seinen Mund ausspülen, mit noch mehr Salzwasser, wissend, dass das Meer nur bei ihr süßlich schmeckte, und das Salz nur zwischen ihren Augenbrauen glänzte. Sie war sein Meer. Spiegelte jeden Stern, Sirius war hell, doch ihre Augen am hellsten.
>Geh, bitte<
Der Sommer war vorbei, kalt war der Wind.
Den Herbst wird er verschlafen, wenn er die Augen öffnet, wird alles still sein. Kahle Bäume, wie skelettierte Hände, die sich aus der Unterwelt herausstrecken, sollen das erste sein, das er sehen wird. Und wenn dann als Traumtänzer zum ersten Mal seine Augenlider flackern, wird er eine salzige Zigarette suchen und seine Lungen wärmen. Er war nie der, der am meisten rauchte, doch er tat es und das reichte vollkommen, um zu sagen, dass er rauchte. Doch was half es ihm? Salz lässt sich nicht von Rauch vertreiben, selbst wenn, jeder Kuchen und jede Frucht wird umso salziger sein, denn alles holt ihn ein. Doppelt und dreifach.
Im Winter wird er die Augen endlich richtig öffnen, seine Fenster in der Früh wieder ruckartig aufstoßen. Süßwasser wird auf den weißen Straßen einfrieren und die klirrend kalte Luft wird in der Nase beißen, wenn sie durch die Vorhänge dringt. Dann wird er wieder gehen, und sich fragen: Wo ist er? Der salzige, leicht bitterer Geruch vom Meer der immer in der Luft hängt, der Benzingeruch vom Hafen, der chemische Geruch von Sonnencreme? Er wird nicht mehr da sein. Der Meeresspiegel wird eingefroren sein. Und auch dann, wenn alles eingefroren ist, wird er die Sandkörner auf der Haut spüren, das Salz wie ein Kokon um seinen Körper. Nachts wird er den Kopf in den Nacken legen und Sirius suchen, er wird da sein und leuchten. Eher ein Versprechen als ein Geschenk. Wie ein Insekt, das in eine Lichtfalle fliegt. Rauch verweht. Eis schmilzt.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX