Schatten
Es ist ein sonniger Tag. Sonnige Tage sind gefährlich, sie sind so scheinheilig. Ich fühle mich wie in einem Film, als wir so nebeneinander spazieren, mit unseren frühlingshaften Pullovern und sommerlichen Sneakers und eingenommenen Mienen. Ist man wirklich glücklich, wenn man glücklich ist? Oder wird man nur von unschuldigen Hormonen getäuscht, die durch den Körper schwirren?
Ja, wir gehen also, wir spazieren, flanieren, während die Hormone in uns umherschwirren, als sich unsere Schritte plötzlich verlängern. Ich sage nicht, wessen Schritte, es macht keinen Unterschied. Mir ist unklar, was für eine Kraft mich antreibt, weshalb meine kalten Füße sich auf einmal immer schneller bewegen. Meine Ferse trifft auf ihre Ferse, meine Sohle trifft auf ihre Sohle, mein Ballen stößt sich von ihrem Ballen ab.
Wenn ich mein Bein hebe, um kurz darauf meine Gelenke wieder meinem Körpergewicht auszusetzen, hebt auch sie ihr Bein und tritt wieder auf.
Ich finde das anstrengend, aber wer gibt das schon gerne zu. Mein linker kleiner Zeh schmerzt etwas, und ich stütze mich mehr auf mein rechtes Bein. Wir.
Während ich schneller werde, wir immer schneller werden, denke ich nach. Denke nach über sie, die da neben mir läuft. Sie trägt meine Schuhe und meinen grünen Pullover, nur, dass ihrer nicht grün ist. Sie mag mich meistens nicht, nur manchmal, wenn jemand mich mit einem anerkennenden Blick beehrt. Ich würde das niemals zugeben, aber sie hat kein Problem damit.
Manchmal ist sie sogar sehr hilfreich. Sie hält mich davon ab, etwas Unpassendes zu sagen, oder etwas Dummes, oder auch einfach etwas Mutiges.
Sie treibt mich an. Schneller! Sie will weiter, wenn ich stehen bleiben will.
Jetzt kann ich nicht mehr. Jeden Tag ist alles gleich, ich, sie, du, Gefühle, alles gleich. Durch Wind gehe ich, oder Regen, Schnee, durch Dunkelheit, doch wenn ich durch Sonne gehe, sehe ich sie am besten. Ganz nah bei mir ist sie, gestochen scharf wie eine digitalisierte Fotografie, und sie wird nicht langsamer. Nicht langsamer. Und ich auch nicht.
Obwohl ich nicht mehr kann.
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