Schauspiel
Blau leuchtet das Licht, aber für nicht sehr lange. Schon nach einigen Sekunden scheint der ganze Raum im violetten Licht und ich sehe, wie deine Augen mit der Deckenlampe um die Wette strahlen. Sie ist nur eines der vielen Geschenke an diesem besonderen Tag, aber das weißt du noch nicht. Später wird dir Papa sagen, dass viele diesen Tag nicht feiern, aber dass du es verdient hast, schließlich bist du unser besonderes Veilchen. Ganz klein, aber wichtig wie Zucker in meinem Tee. Es dauert lange, bis ich dich überreden kann den Raum zu verlassen und schließlich die Küche zu betreten. Den Kuchen, den du dir so sehnlichst gewünscht hast, habe ich zwar nicht geschafft, aber dafür habe ich mir viel Mühe beim Apfelstrudel gegeben und jedes einzelne Atom meiner Liebe für dich hineingesteckt. Du weißt es zu schätzen, das weiß ich und doch tut es mir leid, dass mir dein Wunsch trotz hundert Versuchen nicht gelungen ist. Heute darf ich mir davon aber nichts anmerken lassen. Es ist dein letzter Tag bei uns. Bei mir. Mit deinen vier Jahren stopfst du mehr als drei Stücke in dich hinein und ich muss schmunzeln, wenn ich sehe, wie dein ganzer Mund mit Puderzucker bedeckt ist und du mit deinen kleinen Händen nach dem nächsten, dem größten wohlgemerkt, greifst. Ich bin mir dennoch der Tatsache bewusst, dass ich in einigen Tagen diesen Apfelstrudel als deine Henkersmahlzeit bezeichnen werde und ich hasse mich dafür, dass ich diesen Moment nicht in schöner Erinnerung behalten kann. Reden muss ich zum Glück gerade nicht, das übernehmen Mama und Papa. Sie erzählen dir, wie sonst auch vor dem Schlafengehen, was dich nach dem Einschlafen erwarten wird. Sprechen wortwörtlich von einem Schlaraffenland: Berge aus Esspapier, bedeckt mit Zuckerguss. Ein Meer aus Apfelsaft mit blauer Lebensmittelfarbe und Wolken aus Zuckerwatte. Ein Bett aus Lebkuchen von Oma selbst verziert. Papa ist sich sicher, dass sie dich an der Hand nehmen und dich zu deinem neuen Zuhause bringen wird. Sie wartet sicher schon lange auf dich. Du mochtest Oma und freust dich, sie bald wiederzusehen. Jedoch sagst du, du willst nicht von uns weg. Ich sehe, wie Papa unter dem Tisch nach Mamas Hand greift, und ich muss schlucken. Ich will hier weg. Kann aber nicht. Darf nicht. Stattdessen nehme ich deinen Kopf, deinen winzigen Kopf mit deinen schönen braunen Augen, und küsse dich. Ich hab dich lieb und werde nur noch auf den Tag warten, an dem wir uns wiedersehen, will ich damit sagen. Wirklich aussprechen kann ich es nicht. Allein der Gedanke, dich heute zu verlieren, scheint mich umzubringen. Dabei, dabei bist du diejenige, die geht. Ich frage mich, ob wir überhaupt noch ohne dich weitermachen können. Das Schauspiel wird nach dir enden und was dann? Die heile Welt, die wir dir vorspielen, wird zersplittern. Ich denke nicht weiter, will es nicht tun und schaue in deine Augen. Flüssige Schokolade. Wir werden bald wieder zusammen sein. Du, ich, Mama und Papa. Mehr sage ich nicht und lasse dich los.
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