Scherben bringen Glück
Es ist dunkel in ihrem Zimmer, die Tür versperrt, nur durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Boden dringt Licht herein. Sie hört eine Stimme in der Küche toben, ihren Vater schreien und dann eine Flasche zerspringen. Der elendige Säufer. Scherben bringen Glück.
Obwohl es regnet, lehnt er an der Laterne an der Ecke zu ihrem Haus. Seine nächtlichen Spaziergänge führen ihn oft hier her. Manchmal bleibt er eine Weile stehen und beobachtet, wie in den Zimmern Lichter ein und ausgehen, solange bis alles dunkel ist.
Die bösen Gedanken überwältigen sie. Sie ist schuld, dass ihr Vater sich jeden Abend betrinkt, ihre Mutter so weit weg von ihr. Sie ist nichts. Niemand braucht sie. Sie hört den dumpfen Aufprall, wenn Fäuste in die nackten, wehrlosen Wangen eines Kindes krachen.
Er zündet sich die zweite Zigarette an, als auch das letzte Licht in dem Haus erlischt. Ein betrunkener Mann torkelte über die Straße. Er selbst bietet wohl einen weit mehr merkwürdigen Anblick, wie er da so lehnt, mitten in der Nacht, seine Zigarette im Mund, ohne ersichtlichen Grund – es gibt wirklich keinen.
Auf Zehenspitzen schleicht sie sich in das Zimmer ihres Bruders. Er liegt friedlich in seinem Bett, sein einziges Kuscheltier, fest im Arm. Vorsichtig schiebt sie ein paar Bücher auf seinem Nachttisch beiseite und legt an deren Stelle einen Zettel. Ruf Tante Emmi an.
„Pass auf dich auf“, flüstert sie und schultert den alten Seesack, indem sich nur das Nötigste befand, Kleidung, ihre Ausweise und das Foto, das ihre Mutter geschickt hat.
Sie hat lange gebraucht um herauszufinden, wo es aufgenommen worden war. Sie würde sie finden. Sie muss hier raus, aus ihrem Leben ausbrechen, ausreisen, abhauen. Ihr Blick fiel auf ihren Namen auf dem Klingelschild. Vielleicht sollte sie ihn ändern. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Er drückt seine Zigarette aus und will sich auf den Heimweg machen. Morgen ist auch noch ein Tag, an dem er sie sehen würde. Die Haustür öffnet sich noch einmal. Obwohl sie einen unförmigen Pulli trägt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hat, erkennt er sie sofort. Unbemerkt folgt er ihr. Sie dreht sich kein einziges Mal um. Sie ist auf dem Weg zum Bahnhof, am Ende der Fußgängerzone sieht er schon das hell erleuchtete Gebäude.
Wohin wird sie fahren? Was geht gerade in ihrem Kopf vor? Er könnte sie fragen. Der Zug hat sich schon in Bewegung gesetzt, als er sie wiederfindet. Sie hat ihre Arme um ihre Beine geschlungen, den Kopf auf die Knie gelegt, einen Kopfhörer im Ohr. Sie starrt aus dem Fenster. Er klopfte an die Tür ihres Abteils, lies es wie eine zufällige Begegnung wirken von zwei Menschen, die zusammen im Theaterkurs spielten.
„Ist hier noch frei?“, sie nickt abwesend und braucht ein paar Sekunden bis sie wirklich reagiert, sich erinnert wer er ist.
„Was machst du hier?“, fragt sie ihn.
„Das gleiche könnte ich dich fragen“.
Sie blickt ihn an: „Ich will meine Mutter suchen“
„Ich liebe dich, Hals über Kopf, seit ich dich das erste Mal gesehen habe“
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