Schmetterlingvon Lisa Spreitzhofer
Es ist hell hier. Weiß. Weißes Licht strahlt mir entgegen.
Wo bin ich? Ich sehe mich um. Sehe das Weiß um mich herum. Sehe die helle und ewige Leere, sehe mich um. Wo bin ich nur, was mache ich hier?
Ich sehe einen Schmetterling. Er ist weiß, so wie das, was mich umgibt. Was auch immer das ist. Was auch immer mich umgibt, es sieht wunderschön aus. So wie der Schmetterling.
Seine Flügen flattern federleicht in die Ferne, nehmen mir den Schmerz, alle Sorgen. Lassen mich fühlen so geborgen und so frei, lassen mich vergessen, wer ich wirklich bin. Dass ich eigentlich gerade in einem Krankenbett liege und doch zugleich fliege, denn ich fühle mich, als wär ich ein Schmetterling. Ich weiß es nicht, vielleicht bin ich auch ein Schmetterling. Habe ich auch Flügel wie er, weiß und schwerelos, wunderschön und makellos? Fliege ich umher wie er, ganz weit ins Ferne, in die ewige Leere?
Was umgibt mich? Nichts als unendlich scheinende weiße Luft. Doch ich kann nicht atmen, also kann es keine Luft sein, nein. Vielleicht ist das alles nur Schein.
Ich will sein, einfach nur sein. Ich sein, lebendig sein, aber fühle mich so klein, will größer sein, doch um mich herum ist nur Weiß. Wo bin ich? Ich weiß es nicht, doch ist das überhaupt wichtig? Ich werde es nie erfahren, richtig?
Der Schmetterling sieht mich an, und er hat wohl erkannt, dass wir beide uns diese Frage stellen. Was macht er hier? Habe ich Flügel, genauso wie er?
Tausende Fragen, die in meinem Kopf herumschwirren. Sie wollen nicht hinaus aus mir. Was passiert hier?
Wo bin ich nur? Gibt es hier irgendwo eine Tür?
Ich fühle mich wie betäubt, verträumt, lebendig, vollständig. Aber ich habe Angst. Was passiert mit mir? Wo bin ich hier? Ich möchte hinaus aus diesem Haus, das keines ist. Oder doch? Ich weiß es nicht, aber es interessiert mich auch gar nicht. Denn ich möchte einfach nur weg von hier; gibt es eine Tür?
Ich folge dem Schmetterling, er zeigt mir den Weg. Doch wohin? Wohin fliegt er, ganz weit fort? Wartet er auf mich, an diesem unbekannten Ort?
Seine weißen Flügel, die verschwinden ganz plötzlich, verschwinden in dem unendlichen Weiß. Sie verschwinden, doch ich muss ihn wiederfinden. Weiß er den Weg hinaus von hier? Vielleicht kennt er ja den Weg hinaus von hier, vielleicht gibt es hier ja doch eine Tür.
Wo ist er plötzlich hin? Panik ergreift mich, und die Erkenntnis, dass ich ihn suchen muss, den Schmetterling, die Flügel weiß und schwerelos.
Also folge ich ihm, doch er ist weg, ich finde ihn nicht mehr. Der Schmetterling ist weg, nicht mehr hier. Nicht mehr hier an diesem unbekannten Ort, er ist fort, hat sich aufgelöst. Inmitten im Weiß, ist verschmolzen mit der Luft. Es ergreift mich die Not, denn der Schmetterling ist tot.
Ich laufe, laufe weg von hier. Möchte nicht sterben, so wie er, doch ich bin eingesperrt, finde nicht die Tür. Ich finde sie nicht, denn nur Luft umgibt mich. Sie umringt mich und sperrt mich ein, die unendliche Weiße.
Was soll ich tun? Erst jetzt wird mir bewusst, ich komme hier nicht raus, bin eingesperrt im Todeshaus. Panik ergreift mich, und was dann passiert, möchte ich nicht, möchte hinaus von hier. Ich fühle mich leicht, hebe ab, vergesse meine Sorgen und löse mich auf. Werde zu Luft, werde zu Staub, werde unsichtbar, werde taub. Ich bin nur noch, was der Schmetterling ist –inmitten der Unendlichkeit, ein Hauch von Nichts.
Und dann sehe ich an mir herab, und ich traue meinen Augen kaum. Denn ich habe Flügel, genau wie er, genau wie der Schmetterling, der nicht mehr ist hier. Ich flattre umher, ganz weit fern von meinen Sorgen, fühle mich so geborgen und frei.
Und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich hier bin, endlich. Ich bin hier in der Unendlichkeit, inmitten von diesem Weiß, das so schön scheint. Ich bin hier, und fühle mich frei, fühle mich gut, gesund. Erlöst von dem Schmerz, erlöst von dem Leid, denn ich weiß, jetzt ist es an der Zeit. Es ist an der Zeit, zu gehen, ich bin befreit. Von meinem Körper, von dem Leid. Von dem Schmerz und den Ängsten, bin nicht mehr ich, denn was ich jetzt bin, ist ein Schmetterling.
Die Flügel so weiß, so federleicht, flattern in die Unendlichkeit. Endlich bin ich befreit von dem Leid, denn ich weiß, mein Körper liegt im Bett, im Krankenhaus, liegt an dem Ort, an dem ich mich noch nie gefühlt habe zuhaus. Mein Körper liegt dort, an diesem unschönen Ort, umzingelt von Menschen, die mich eigentlich nicht kennen, die nicht wissen was ich will, wohin ich will, dass ich glücklich bin, an dem Ort, an dem ich mich jetzt befind. Dass ich nie mehr zurück mag in die Welt, die ich gekannt hab.
Denn ich wollte schon immer hierher, wollte weg von dort, weg von diesem Ort, wollte nur hierher. Mich frei fühlen und schwerelos, wollte Flügel haben und durch die Unendlichkeit fliegen und nicht mitkriegen, was gerade wirklich mit meinem Körper passiert. Wollte weit weg von Infusionen und Spritzen und Nadeln, einfach ich sein, frei und heil, in der Unendlichkeit.
Mir ist klar, es wird nie wieder, wie es war. Dass es vorbei ist, jetzt sofort, an diesem Ort. Doch ich mag es hier, möchte nie mehr zurück, und vielleicht bin ich verrückt. Doch ich mag es hier. Hätte nicht gedacht, dass es das ist, dass es sich so anfühlt. Zu verschwinden. Vielleicht, weil ich gar nicht verschwinde. Oder, weil ich mich selbst finde, gerade weil ich verschwinde. Auf jeden Fall mag ich es hier, möchte nicht mehr zurück. Vielleicht bin ich verrückt.
Doch ich bin hier, wo der Schmetterling ist, bin Teil der Luft, unsichtbar. Für die anderen. Und ich will nicht mehr zurück, nie mehr, nie mehr zurück in die Welt, die ich gekannt hab. Weil ich es hier eigentlich sehr gerne mag.
Ich höre nur Stille, bin taub, und doch höre ich etwas, wenn ich nur lausch. Dann kann ich sie hören, Schmetterlinge, ganz weit fern. Sie lachen und fliegen umher, fühlen sich frei wie nie, fühlen sich gut, voller Übermut, bereit für ein neues Leben hier, und so geht es auch mir. Ich sehe sie nicht, die Schmetterlinge, sie sind unsichtbar, verschmolzen mit der Luft, so wie auch ich es bin. Doch ich höre sie und ich weiß, dass sie hier sind bei mir, dass auch sie sich endlich zuhause fühlen, so wie ich, dass sie endlich befreit sind von dem Leid, von dem Wind davongetragen werden, in die Unendlichkeit. Dass sie endlich genug haben.
Und wir sagen, es würde wehtun. Oder zumindest denken wir das. Wir denken, dass es wehtut, zu verschwinden. Doch vielleicht müssen wir das ja gar nicht tun – verschwinden. Vielleicht werden wir alle mal ein Schmetterling sein, ganz klein und doch wunderschön, werden in die Unendlichkeit fliegen und uns dann nie wieder beklagen. Denn dass es so schön ist, wegzufliegen, haben wir nicht erwartet, werden wir dann sagen, und wir werden uns nicht beklagen, weil es das sein wird, was wir schon immer wollten. Schwerelos sein. Klein und wunderschön, makellos. Die Flügel so weiß und federleicht, eins mit der Luft, mit dem Wind. Ein Schmetterling.
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