Schönbergs Nr. 6 der kleinen Klavierstücke
Ein Schritt. Noch einer. Einfach einen Fuß vor den anderen setzen. Nur ganz langsam bewegen sich meine Füße voran. Aber das ist egal. Hauptsache es geht weiter. Es muss endlich weitergehen. Ich kann nicht mehr stehenbleiben, kann nicht mehr nur auf dieser einen Stelle verharren, wie ich es schon so lange tue. Immer nur vorausschauen.
Mein Blick ist auf den grauen, kahlen Beton geheftet. Er ist so trostlos und leer, wie ich mich innerlich fühle. Auch wenn mir wieder Tränen in die Augen steigen, gehe ich weiter. Zwinge mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Noch immer alles im Schneckentempo. Schneller geht es einfach nicht. Ich versuche schneller zu werden, in mein ursprüngliches Tempo zurückzukehren, doch ich schaffe es nicht. Nach ein paar Sekunden versagt mir schlicht die Kraft. So schleppe ich mich wie eine alte Dame weiter, noch so viele Meilen davon entfernt, wieder ich selbst zu sein. Aber ich nähere mich mir selbst, meinem alten Ich, immer weiter an. Immerhin bin ich wieder auf der Straße. Zwar im Nieselregen und an einem grauen Nebel-Tag, aber ich bin aus meiner Wohnung draußen. Jedoch nicht unter Menschen wie alle es von mir verlangen und erwarten, aber ich bin draußen. Doch für Leute habe ich momentan noch keine Kraft. Sie sind alle so schnell, stehen mitten im Leben- und lieben es. Und sie hetzen herum, durch die Gassen, Straßen und über Plätze. Damit kann ich noch nicht mithalten. Das ist noch zu viel. Aber ich versuche es weiter. Übe jeden Tag, setze immer wieder Füße vor andere, bis ich wieder mithalten kann, bis ich wieder Ich bin. Es ist anstrengend und frustrierend, für jeden Schritt vorwärts muss ich eine immense und abnormale Menge an Kraft aufbringen, die ich eigentlich nicht habe. Aber ich mache es trotzdem. Ich muss weiter machen, muss vorwärtskommen.
Denn es fühlt sich so an, als ob ich meine eigene Melodie, mein eigenes Lied verloren hätte, als könnte ich es auf einmal nicht mehr spielen. Das Lied, welches uns den Takt zum Leben vorgibt, welches in uns schwingt, in jedem Menschen unterschiedlich. Die Melodie, der wir immer folgen auch ohne es zu wollen oder zu wissen, dass wir es überhaupt tun.
Ich weiß, es wird noch lange dauern, bis ich meine Melodie wieder spielen kann. Noch klingt es so, als hätte ich alles, was ich im Leben je gelernt habe, einfach ausradiert. Mein Tempo ist nicht vorhanden und meine Gefühle haben sich auf ein Minimum, auf das traurige Minimum, reduziert. Aber ich übe jeden Tag, beschreite meinen Weg weiter, wenn auch langsam. Doch ich weiß, eines Tages werde ich es schaffen. Eines Tages bin ich wieder ich und spiele mein Lied wieder einwandfrei, so wie alle anderen auch.
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