Schrei nach Freiheit
Es ist genug, dachte er eines wunderbaren Abends, allein und für sich. Er hatte genug von all dem, der Grausamkeit seines Alltags, des täglich gleichen Aufstehens, der immerzu aufs Neue in den Stimmen der Lehrer hörbaren Öde und vor allem von dem scheinbar endlos gehenden Spiel zwischen ihm und seiner ach wie großen Liebe. Er wollte einfach ausbrechen, hinaus aus diesem System, hinaus aus dem kleinen Dorf in dem er lebte und hinaus in die große, weite Welt, eine Welt von der er nur in seinen geliebten Sagen und Geschichten zu hören bekam, in die Welt, die als so voll von unglaublichen Schönheiten geschildert war. Nun, an diesem verheißungsvollen Abend lag er da, den gepackten Rucksack anstarrend, hin und hergerissen zwischen seinem Kopf, der ihn mit scheinbar aller Kraft in dieses Leben hinein zu quetschen versuchte und seinem Herzen, dass nun, nach all der Zeit in der gleichen Hütte, mit den gleichen Freunden hinaus wollte, die Welt sehen und auch einmal das große Meer, von dem ihm die Kinder wohlverdienenderer Eltern so häufig erzählt hatten. Nun war Schluss, dazu hatte er sich entschieden, schon vor langer Zeit, doch nun, im Moment des Aufbruchs, das Zugticket, auf das er über Monate gespart hatte, lag bereit, ebenso der Rucksack und die Geldbörse für den Proviant, zögerte er, hatte er sich das nicht immer gewünscht? Ja, das wusste er, doch was sollte mit all den anderen passieren?
Da waren seine Eltern, ob sie sich wohl um ihn sorgen würden?
Natürlich, aber genau zu diesem Zweck hatte er ihnen einen drei Seiten langen Brief über seine Absichten geschrieben.
Und seine Freunde, würden sie ihn nicht schrecklich vermissen?
Sicher, doch das konnte nun auch kein Grund mehr sein, noch länger mit dem Aufbruch zu warten, er wollte nun endlich fort aus diesem Ort, dessen er schon lange überdrüssig geworden war.
Was sollte aus seiner Freundin werden, wenn er ihr auf diese Weise das Herz bräche?
Er versuchte, nicht daran zu denken, schließlich hatte er sie gefragt, ob sie nicht mitkommen wollte.
Nun war es so weit, er war im Reinen mit sich, stand auf und griff nach seiner Tasche. Er sollte sich an die folgenden Minuten, in denen er, aufgeregt wie noch nie, den Brief auf den Tisch legte und mit seinem Board zum Bahnhof fuhr, in seinem späteren Leben nicht mehr erinnern können. Schweren Herzens stand er nun ein letztes Mal unterhalb der schiefen, abgenutzten Treppe hinauf zu den Gleisen, ärgerte sich ein letztes Mal über die schiefen Stufen und sah ein letztes Mal, wie in einem Automatismus hinauf zur großen Runden Uhr, die damals, als er das erste Mal mit dem Zug zur Schule gefahren war, ihren letzten tickenden Laut von sich gab, nur um dann auf alle Zeit stehen zu bleiben. Er stieg in den Zug und als er sich umdrehte und sah, wie die Türen sich das letzte Mal vor seinen Augen schlossen und der Bahnhof ein letztes Mal wie von Zauberhand hinwegglitt, da rollte ihm eine einzelne kleine Träne über die Wange und er musste an all die schönen Jahre hier denken.
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