Schwerelos
Ich ließ mich fallen. Genoss die Schwerelosigkeit, die mich umgab. Ich fühlte nichts. Keinen Schmerz. Keine Trauer. Keine Wut. Es hatte etwas Übernatürliches. Etwas Jenseitiges. Eine gefühlte Ewigkeit genoss ich diesen Zustand. Doch Plötzlich ertasteten meine Hände etwas Weiches. Langsam drang auch Lärm an meine Ohren. Lachen. Ich öffnete meine Augen und blickte in das freundliche Gesicht meiner Mutter. Ihre dunklen, weichen Augen und ihre Grübchen schienen mir so vertraut. Ich streckte meine Arme aus. Versuchte sie anzufassen. Doch ich konnte nicht. Meine Hände griffen nur ins Leere. Es war wie ein Film, der sich vor meinem inneren Auge abspielte.
Meine Schwester trat in mein Blickfeld. Ihre langen Haare fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern. Sie war so wunderschön. Es schien, als beugten sie sich beide über mich. „Schau sie dir an!“, flüsterte meine Mutter. „Sie sieht aus wie ein kleiner Engel.“, ergänzte meine Schwester lächelnd. Ein warmes Gefühl überkam mich. Ich fühlte mich geborgen. In den Armen meiner Familie war ich sicher. Doch plötzlich verschwamm das Bild und die einzigen Menschen, die mir jemals wirklich etwas bedeutet hatten, rückten auf einmal in weite Ferne. Dunkelheit überkam mich und das Anfangs wundervolle Gefühl der Schwerelosigkeit, verwandelte sich blitzartig in ein Gefühl der Angst und Hilflosigkeit. Ich wollte hier weg. Egal wie.
Ein furchtbarer aber sehr vertrauter Geruch schlug mir plötzlich entgegen. Feuer…. . Feuer! Ich schreckte hoch. Panisch riss ich die Augen auf. Eine dunkle, stinkende Nebelmasse schlug mir entgegen. Benommen stand ich auf. Von irgendwoher hörte ich Schüsse. Menschen schrien und weinten. Befehle wurden gebrüllt. Und plötzlich sah ich sie. Die Soldaten. Ich wusste was nun kommen würde. Innerlich kehrte ich zu dem dunklen Ort zurück. Versuchte mich abzuschotten. Ich wollte es nicht sehen. Den zerschundenen Körper meiner Mutter, eingeklemmt unter den Überresten unseres Hauses. Meine Schwester. Erschossen, bei dem Versuch mich zu beschützen. Ich, wie ich weglief, während hinter mir eine Welt zusammenbrach. „Nein!“, schrie ich. „Bitte nicht!“
Das nächste was ich wahrnahm, war eine Hand, welche zärtlich über meine strich. Der Duft eines süßen Parfums stieg mir in die Nase. „Es ist alles gut!“, flüsterte die Stimme. „Du bist hier in Sicherheit.“ Ich öffnete die Augen. Die Frau kniete neben mir an meinem Bett und lächelte. Es war ein freundliches, engelsgleiches Lächeln. Sie strich mir übers Haar. „Wie schön, dass du wach bist!“ Der Raum um sie herum war hell erleuchtet. „Du bist in einem….“ „Lazarett, ich weiß!“, entgegnete ich. Überall waren Betten aufgestellt worden. Menschen in weißen Gewändern rannten hektisch hin und her. Ich schluckte. „Meine Mutter…. . ?“ Das Lächeln der Frau erstarb. „Wir wissen es noch nicht. Noch hat sich niemand nach dir erkundigt.“ Ich wusste, dass dies auch nicht mehr passieren würde. Sie waren fort. Für immer.
Erneut begab ich mich in die Dunkelheit.
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