Seelenfreier Körper – Gesellschaft ohne Jugend?
Meine junge Seele hat einen Namen, ein Alter und eine Farbe. Befreien möchte sie sich davon. Meine pure Seele möchte sich von mir und meinem Körper verabschieden. Ich sei anstrengend, hektisch, zu laut und philosophisch. Das bin ich nicht, das ist mein Alltag – Die Gegenwart. Sie hält es nicht mehr aus, ich sei ihr zu viel, flüstert meine Seele und seufzt. Soll ich sterben? Soll ich es zulassen, dass sie mich verlässt? Was wäre ich, was wäre mein Körper ohne sie? Ein armseliger, stimmloser Körper, der abgeschafft wird. Die Seele macht ihn aus. Die Blume überlebt nicht ohne ihre Wurzeln. Ihre Wurzeln müssen täglich gegossen werden. Hat mein Körper meine Seele heute überschüttet? Zu viele Gedanken. Zu viel Stress. Aber das ist mein Alltag. Ich bin Studentin, Praktikantin, Künstlerin, Musikerin und ein Flüchtling. Ich bin jung. Ich muss mich immer beweisen. Ich muss der Gesellschaft immer zeigen, dass ich den Alltag überlebe, dass ich stark und erfolgreich bin, dass ich genug bin, dass ich Deutsch kann und dass auch geflüchtete junge Menschen es in dieser eurozentristischen Gesellschaft schaffen können, erfolgreich sein können.
Überlebt der Wald ohne neuen Bäume? Ohne junge Blumen? Überlebt die Gesellschaft ohne Frühling? Ohne junge Menschen? Ohne Diversität und Multikulturalität? Ich bin bunt und spreche bunte Sprachen, aber die Welt ist rassistisch und möchte meine Wurzeln abschneiden.
Niedergeschlagen fühlt sich meine Seele. Entschuldigend duckt mein Körper vor ihr. Sie verabschiedet sich trotzdem. Gnadenlos übersieht sie seine Tränen. Sich befreiend verreist sie in die Zukunft. Sie dürstet nach einer bunten Gesellschaft. Sie oben und er unten. Sie frei. Er gefangen. Sie reitend. Er still am Boden. Dazwischen die Welt, gespaltene Gesellschaft. Wie eine Schicht, die sie beide trennt. Er schreit nach ihr. Er zittert. Beängstigt, nackt, leer, blass, kühl, kalt, armselig, einfach seelenlos. Die Welt ist die Wand. Schalldicht ist diese Ebene. Die Seele hört ihn nimmer. Er schreit, weint und streckt die Arme nach oben. Diese Ebene raubt ihm seinen Atem, ist zu seinem Grab geworden. Die Welt ist ein Grab. Die Erde ist sein Sarg. Still verblüht er.
Ein paar Tage später erinnert sich niemand an seinen Duft. Grausamer, seelenloser Gestank ersetzte ihn. Und die Seele? Frei in der Zukunft und ihren Triumph auf seinem Grab feiernd.
Die Seele wird nicht mehr abgestempelt. Sie ist kein Flüchtling mehr. Sie ist bunt und so wird sie wahrgenommen. Hier gibt es kein Rassismus, keine Diskriminierung, keinen Krieg und keine Politik. Alle diese spalten Menschen und machen sie zu Feinden. Hier verhungert niemand. Hier gehen alle Kinder in die Schule. Hier schaut es friedlich und bunt aus. Hier haben alle Menschen die gleichen Chancen. Hier gibt es Bildungsgereichtigkeit. Hier gibt es keine Armut. Hier gibt es Menschlichkeit. Hier ist jede*r gleich. Hier ist die Menschenwürde unantastbar. Hier ist eine Utopie.
Wo ist die Seele gelandet? – In der Essenz der Existenz?
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