Sein Herz, ihre Hand
12. Februar, 1944
Die Stadt brennt – und ich habe zu viele Jahre gesehen, um überrascht zu sein. Rauch und Staub füllen die Straßen, doch die Menschen bewegen sich weiter, als wäre das Chaos längst Alltag. Die meisten haben sich mit dem Tod abgefunden. Ich sitze hier, schreibe mit zitternder Hand, und frage mich, wie viel wirklich bleibt, wenn wir nicht aufpassen. Ja, es macht mir Angst. Alles vergeht zu schnell – ein Tag, ein Gesicht, ein Atemzug – und ich kann nichts festhalten. Ich fürchte nicht den Tod. Nur, dass alles, was wir sind, spurlos verschwinden könnte.
Ich sitze in einer zerbombten Wohnung, die Kerze flackert neben mir. Bomben krachen, Glas zerspringt, Schreie zerreißen die Nacht. Ich schreibe, weil die Zeit mir davonläuft, weil selbst die Sekunden scheinen zu fliehen. Das Tempo des Krieges ist unmenschlich – zu schnell, um zu begreifen, was man verliert.
Kinder hasten durch die Trümmer, ihre Gesichter voller Angst – und ich erinnere mich an meine eigenen. An die Tage, an denen sie auf mich zuliefen, ihre kleinen Hände in meinen. Ich weiß, sie sind in Sicherheit, doch die Sorge bleibt. Nichts ängstigt mich mehr, als die Möglichkeit, sie zu verlieren.
Manchmal lege ich den Stift zur Seite, atme tief ein und warte auf das nächste Krachen. In diesen Sekunden sind meine Gedanken bei ihnen – bei meinen Kindern und bei Susanne, deren Gesicht ich mir immer wieder vorstelle. Ich denke daran aufzuhören, doch etwas in mir wehrt sich. Ich möchte weiterschreiben, in der Hoffnung, dass dieses Buch eines Tages meine Kinder findet. Vielleicht werden sie verstehen, wie schnell alles vergeht – und wie tief man lieben kann, selbst wenn die Welt zusammenbricht.
28. April, 1945
Die Welt ist still geworden, aber nicht friedlich. Nur ein Echo von Bomben, zerfallenen Häusern, leeren Straßen. Ich sitze auf dem Boden, das Heft in den Händen, und jeder Atemzug fällt mir schwer. Alles, was ich je kannte, ist zerbrochen – und ich frage mich, ob Liebe allein reicht, um uns am Leben zu halten.
Meine Gedanken kreisen um Susanne. Ihr Gesicht erscheint vor meinen Augen, klarer als die Stadt um mich herum. Ich sehne mich nach Sicherheit, nach Heimat. Ich könnte aufgeben, einfach alles loslassen. Doch das Schreiben hält mich noch. Es ist mein letzter Faden, ein Versuch, das, was wir lieben, nicht von der Zeit verschlingen zu lassen.
Ich dachte, ich würde es nie lesen: das Ende, das nicht von ihm stammt.
Ich bin Susanne, seine Frau. Ich habe sein Buch gefunden, nachdem der Krieg uns alles genommen hatte, und begann, seine Worte fortzuführen – weil er es nicht mehr konnte.
Doch zwischen den Seiten entdeckte ich etwas Unerwartetes. Eine Nachricht, in seiner vertrauten, zittrigen Schrift:
„Ich lebe noch. Ich werde zurückkommen. Warte auf mich.“
Mein Herz blieb stehen. Er war nicht tot. Doch die Seiten danach waren leer. Nur Stille. Kein Datum, kein Ort, kein weiterer Hinweis.
Vielleicht war es seine letzte Hoffnung. Vielleicht war es Wahrheit. Ich weiß nicht, ob er je zurückkehren wird.
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