Seitenwechsel am Stacheldrahtzaun
„Paula, pack endlich deine Sachen! Morgen fahren wir schon nach Ungarn in den Urlaub!“, ruft mein Bruder, der 3 Jahre älter ist als ich. Er ist schon 16. Mein Bruder stört mich ständig, ich schreibe nämlich eine neue Kriminalgeschichte. Dauernd unterbricht er mich, sodass ich keinen klaren Gedanken fassen kann…
Mein Papa, meine Mama, Tobias und ich sitzen am Frühstückstisch. Im Hintergrund hört man Radio, das bei uns den ganzen Tag durchläuft. Die Koffer sind schon gepackt. Tobias ist gerade mit dem Essen fertig geworden und bringt noch die restlichen Schuhe und Jacken ins Auto. Endlich kann es losgehen.
Nach einer anstrengenden Fahrt sehe ich schon die ungarische Ortstafel „Esztergom“. Ein paar Minuten nur mehr bis zu unserem Ferienhaus. Mein Papa parkt neben einem Auto mit westdeutschem Kennzeichen, aus Nürnberg. Wer könnte denn das sein? Beim Empfang scheint Papa schon in kurzer Zeit einen guten Gesprächspartner gefunden zu haben. Er scheint ein intensives Gespräch mit diesem Mann zu führen. Ich wunder mich schon, dass er sich mit diesem Fremden so lange unterhält.
„Paula, Tobias kommt mal bitte mit!“, ruft mein Vater. „Soll das etwa so eine Art Familiensitzung werden?“, fragt Tobias. „In der Art“, antwortet Papa. „Ich habe heute mit diesem Westdeutschen lange gesprochen. Er möchte uns helfen, in den Westen zu flüchten. Jetzt ist der beste Moment, um das zu tun. Mit Mama habe ich schon geredet. Wir haben lange überlegt. Das wäre die einmalige Chance für uns“, kündigt Papa an. „WAS? Das heißt ich sehe meine Freunde nie wieder und mein Zuhause auch nicht. Das gibt es doch nicht!“, schreie ich verzweifelt. Tobias ist sprachlos. Ich bin sicher, dass dieser Augenblick über mein ganzes Leben entscheiden wird und alles völlig verändern wird.
Nach langem Überlegen haben wir uns entschieden, dass wir nun gehen werden.
Herr Müller ist sehr freundlich und bringt uns mit seinem Auto direkt zur Grenze, unser Auto mit ostdeutschem Kennzeichen darf nämlich hier auf keinen Fall gesehen werden. „Auf Wiedersehen, Herr Müller und vielen Dank für die Hilfe!“, sagt mein Vater.
Vor meinen Augen kommt langsam der Stacheldrahtzaun zum Vorschein. Ich zittere am ganzen Körper und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Wenn doch etwas schiefgeht?
Wir haben kein Werkzeug dabei, keine Leiter, was nun? In unserer Verzweiflung rütteln wir am Zaun und merken dabei, wie der Zaun nachgibt, wie er brüchig wird. Wir schöpfen Hoffnung. Jetzt müssen wir all unsere Kräfte zusammennehmen und stark am Zaun reißen. Der Zaun öffnet sich uns. Jetzt schnell durchlaufen und nichts wie weg. Wir rennen so schnell, bis wir zu einem Schild gelangen, auf dem steht: Ihr seid in Österreich, ihr seid in Sicherheit“. Das ist der Moment, in dem sich mein ganzes Leben verändert hat.
Diese Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, die sich in meiner Familie abgespielt hat.
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