Selbstliebe ist kein Vollzeitjob oder warum der Kapitalismus keine Langzeitlösung ist
Beinahe jeden Tag findet man Instagram-Posts und Youtube-Videos von Selbsthilfegurus, die immer wieder betonen, wie erfüllend es sei, seine Gedanken auszuschalten und sich auf den Moment zu konzentrieren oder Yoga zu machen: Es soll den Körper stärken, ein Ausgleich zur stressigen, leistungsorientieren Arbeit sein, unseren sorgengequälten Geist befreien, für positive Gedanken sorgen, sogar von einer Heilung von physischen und psychischen Krankheiten wird immer wieder gesprochen. Gewichtsverlust gibt’s gratis dazu. Kurzum: DAS Wundermittel unserer Zeit.
Doch schnell zweifelte ich an diesen, zum Trend gemachten, jahrhundertealten Traditionen. Ein neues, besseres Leben dank exotischer Verrenkungsübungen? Herstellung des inneren Friedens durch das Sich-Bewusstwerden seines körperlichen CO2-Ausstoßes? Die neue Weltreligion? Motto: Wer braucht schon Weltfrieden, wenn er Yoga haben kann?
Oft hört man auch, Yoga sei nicht bloß eine alternative Sportart, nein, einen neuen Lebensstil soll es mit sich bringen, ein Innehalten, eine aktive Aktionsstagnation, um damit besser fortschreiten und sein Leben lieben zu können. Um glücklich zu sein. Es ist schwer vorstellbar, dass es hier und heute, in einer Welt des Überflusses, im wahrgewordenen Kanaan, mehr Fälle von psychischen Erkrankungen gibt denn je. Wir haben uns in unserem Verlangen nach einem besseren Leben und dem Bedürfnis kurzzeitige Probleme lösen zu wollen, wie unsere Gier zu stillen, ein neues Problem geschaffen: den Kauf- und Konsumwahn, um das Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten, der wiederum dazu führte, dass es seit einem Jahr nun den Zwölfstundentag gibt, um mehr Arbeit verrichten zu können, mehr produzieren zu können, mehr Geld zu erwirtschaften und wieder verbrauchen zu können.
Aber wenn wir glücklich sein wollen, sollten wir uns nicht zuerst auf unsere Grundbedürfnisse konzentrieren? Was fehlt uns hier in der Welt des Überflusses? Zeit für uns selbst, meinen viele. Zu viel Auswahl, zu viele Reize, die unser Gehirn überfordern.
Doch Zeit für uns selbst haben wir nur deshalb nicht, weil wir so viel konsumieren, weil wir nach Ablenkung lechzen, weil wir uns immer mehr Glück erkaufen wollen. Schneller, höher, weiter, qualitativ hochwertiger, positiver, schöner, teurer, besser. In Wahrheit brauchen wir den 5-Sterne-Lachs des Unterwasserluxusrestaurants nicht. Wir brauchen auch keinen randvollen Terminkalender, der uns sagt, wann wir essen sollen. Der Grund, warum wir denken, dass wir all dies brauchen, ist, weil wir nicht mehr zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen unterscheiden können. Angesichts der Krisen, die die kontinuierliche Wirtschaftsexpansion mit sich gebracht hat, wie Hungersnöte und die Erderwärmung lautet die zu beantwortende Frage nicht, ob wir so noch weitermachen können. Die Frage lautet: „Warum sollten wir?“.
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