Sicherheit
Die Angst war alles verzehrend.
Das Mädchen konnte sie sehen in den zusammengekauerten Gestalten, in den eingefallenen Gesichtszügen; es konnte sie schmecken, denn die Angst lag wie ein dumpfer, lähmender Film über allem; es konnte sie riechen in dem sauren Geruch von Regen, in dem bitteren Geruch von dunklem Kaffee, selbst in dem süßen Geruch von Rosen – überall lauerte die Angst wie ein Tropfen Gift im klarsten Wasser.
Das Mädchen konnte die Angst hören: im Kreischen, sowie im Flüstern; und ja das Mädchen konnte die Angst fühlen – es konnte nichts anderes als die Angst fühlen.
Angst war schlimmer als Schmerz, denn Angst war die Vorahnung auf Schmerz. Angst war wie ein endloser Schmerz, zu diesem Schluss war sie gekommen und begann sich nach dem Schmerz zu sehnen, damit die Angst endete, begann sich danach zu sehnen wovor sie Angst hatte.
Das Mädchen verzehrte sich nach ein wenig Sicherheit, nach dem Gefühl zu wissen, was um die nächste Ecke lag, nach der Ahnung, dass morgen so sein würde wie gestern – dass der nächste Tag nicht ein Neuer sein würde, sondern eine Reihe von Momenten, die sich immer und immer weiter wiederholten, in die Vergangenheit, sowie in die Zukunft, bis die Begriffe gestern, morgen, später und neu keinen Sinn mehr machten, weil jeder Moment dem Vorherigen ähnelte und dem Folgenden gleichen würde.
Denn dass dies, die wahrste und purste Form des Glücks war, dessen war sie sich sicher – dass einzige, wo sie sich sicher war.
Ihr Leben war voll Asche und so waren ihre Träume voll Gold, sie begehrte nichts mehr als eine neue Heimat - eine neue Stadt - ein neues Land!
Ein Land wo Sicherheit gewiss und Gewissheit sicher war, ein Land wo es nicht wie ein Fehler schien, ein Leben – ein Paar funkelnder, unschuldiger Augen in die Welt zu setzen – ein Land wo sie nicht umsponnen war von Hochs und Tiefs, von Glück und Trauer, von Gunst und Unheil, von Leben und Tod, wie in ein filigranes Netz dass drohte zu bersten, nur wusste niemand wann und weshalb und wie und ob.
Und so hielt diese Idee eines neuen Landes, das Mädchen das nun schon eine Frau war, davon ab, in die dunklen Tiefen der Verzweiflung zu fallen, verschluckt zu werden in dem Meer aus grauen Gesichtern, zu verglühen in den Brennöfen der stetigen Veränderung, die die Welt am Laufen hielten, zu verblassen, angesichts der Apathie die der Euphorie stets folgte.
Die Idee des neuen Landes herrschte über all ihre Taten und Gedanken und Gefühle, bis das neue Land nicht schlichtwegs ein neues Land war, sondern ein Neuland.
Und später noch, viel, viel später, tatsächlich in einem neuen Land, in einer neuen Zeit, setzte die Frau ein Leben – ein Paar funkelnder, unschuldiger Augen in die Welt.
Ein Junge der den Geschichten seiner Mutter zuhörte.
Geschichten von einem Leben voll Risiko und Ungewissheit, voll Unberechenbarkeit und Wagnis, voll Kühnheit und Abenteuer.
Ein Leben das so viel besser war als sein eigenes.
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