SIE
Das könnte das letzte Mal sein. Diesen Satz hörte sie oft, damals. Eigentlich nicht. Das war gelogen. Sie dachte oft über diesen Satz nach. Eigentlich auch nicht. Wieder gelogen.
Sie kann sich nicht mehr erinnern. Wann war das letzte Mal als ihre Eltern sie durch die Wohnung getragen haben? Wann hat sie das letzte Mal ihre Puppen aus dem Schrank geholt, mit ihnen gespielt, um sie anschließend für immer zu vergessen? Wann hat sie das letzte Mal ihre Lieblingsserie geschaut ohne sie "kindisch" zu finden? Wann hat sie das letzte Mal gebettelt, um noch ein wenig länger aufzubleiben? Ja, wann war nur das letzte Mal? Sie weiß es nicht mehr. Ist wohl zu lange her. Aber damit, will sie sich nicht zufrieden geben, nein. Sie wird ab sofort jeden Augenblick, jeden Moment schätzen, als wäre es ihr Letzter. Ihr Magen krümmt sich zusammen bei diesem Gedanken. Da kommt wieder dieses Gefühl, Nostalgie. Nachschweifen vergangener Momente. Noch etwas anderes. Nostalgie im Moment des Geschehens. Der Moment, gerade jetzt, ist geistig schon durchlebt. Schon vorbei. Sie fühlt sich bereits nostalgisch. Aber sie ist doch gerade mitten drin, im Geschehen. Der Moment geht doch noch weiter, er ist noch nicht vorbei, geht einfach weiter.
Das wusste sie damals alles noch nicht. Wie töricht von ihr. Sie wusste nicht, dass es das letzte Mal war. Darüber ärgert sie sich. Doch ist es möglich, mit der ständigen Ungewissheit des Lebens, das Leben zu leben? In der ständigen Angst etwas das letzte Mal zu tun, jemanden das letzte Mal zu sehen. Woher soll sie bloß wissen, dass genau dieser Moment, dieser Augenblick der Letzte sein könnte? Sie weiß es nicht, niemand weiß es. Das macht ihr Angst. Angst vor dem Ungewissen oder Angst vor dem Gewissen. Angst vor dem was passieren wird, oder vor dem was passieren könnte.
Wer ist sie? Ich bin sie, sie ist wir. Gefangen. Gefangen in der Vergangenheit. Gefangen in der Gegenwart. Gefangen im Moment. Gefangen in der Nostalgie des Augenblickes.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX