Sinfonie der Jahreszeiten
Samstagmorgen. Ich spaziere den schmalen Weg entlang – wie so oft. Durch Weinberge und entlang der Sträucher und Bäume. Ich kenne den Weg genau und er mich, als hätte er ein Gedächtnis für Schritte.
Kenne jedes Tierversteck am Wegrand. Jedes Vogelnest. Und trotzdem: kein Spaziergang gleicht dem anderen.
Adagio:
Samstagmorgen. April. Und wieder atme ich die Luft ein, die voller Blütenduft auf dem Feldweg liegt. Es riecht nach Hollunderblüten. Nach Frühling. Knospen platzen auf. Wie leise Versprechen. Das erste zarte Grün wächst aus dem Boden wie ein vorsichtiges Lächeln. Hasen tanzen den Frühling auf den Feldern ein. Spielen miteinander. Ich bleibe stehen. Lausche – dem Knistern der erwachenden Natur, dem Flüstern des Windes in den noch zarten Blättern. Alles erwacht. Langsam.
Allegro:
Samstagmorgen. Juli. Die Hitze flirrt über den Feldern, flimmernd, rastlos. Die Tiere können nicht verbergen, dass ihnen die Wärme zu schaffen macht. Das Gras, trocken, brüchig, Staub steigt auf. Es bewegt sich sanft im Wind, als würde es träumen. Die Bäume schlafen und kühlen den sonnigen Weg, mit ihren Schatten. In der Ferne höre ich Kinderstimmen und das Summen der Insekten. Ich lausche dem Zwitschern der Vögel. Die Welt erfüllt von Leben – sichtbar, spürbar, fast verschwenderisch. Und wieder sehe ich Fußabdrücke von meinem letzten Spaziergang im sandigen Boden. Nicht lange her, trotzdem alles neu.
Larghetto:
Samstagmorgen. Oktober. Wieder nehme ich die Natur und ihren Klang ganz anders wahr. Die Farben reifer, geben noch einmal ihr Bestes. Gelb, Rot, Grün und Orange sticht mir ins Auge. Der Wind lässt die Blätter wie kleine Geschichten auftanzen. Sie drehen sich und fallen müde zu Boden. Legen sich zur Ruhe. Ein letztes Mal spüre ich das Rascheln der Blätter unter meinen Füßen. Ob sich vielleicht unter einem Blätterhaufen ein Igel sein Winterquartier eingerichtet hat?
Largo:
Samstagmorgen. Dezember. Alles still. Unter meinen Füßen knirscht der Schnee. Auf den Sträuchern eine dicke Schneedecke. Kurz darauf reißt der Himmel auf. Licht. Der ganze Weg beginnt zu glitzern, so als hätte jemand Sternenstaub über die Welt gestreut. Kein Vogel singt. Kein Blatt bewegt sich. Und doch: In dieser Ruhe liegt eine besondere Schönheit. Veränderung.
Jeder Spaziergang ist der gleiche – und doch ist jeder ein wenig anders. Nicht laut, nicht dramatisch. Die Natur spricht in leisen Veränderungen, im Rhythmus von Licht, Temperatur und Farbe. Jahreszeiten wechseln wie Sätze einer Sinfonie.
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