Sommergefühle
Ich lese Wikipedia Artikel über Kriegsverbrechen und studiere Nacktbilder von mir selbst.
An heißen Nachmittagen gehe ich alleine schwimmen und versuche an nichts zu denken.
Ich fühle mich, als ob eine Gleichgültigkeit sich in mir breit macht wie ein Pilz, mein Fleisch von innen heraus isst, bis die schimmligen Teile an die Oberfläche kommen, grüne Punkte auf meiner Haut.
Fühlt es sich so an, erwachsen zu werden?
Ist diese sanfte Loslösung von allem, was es bedeutet, eine Frau zu werden?
Ich bin 18 Jahre alt, und ich habe das Gefühl, dass meine Zeit abläuft.
Es ist August und ich denke viel über Blut nach. Gelsenstiche blutig gekratzt, wieder und wieder, bis sie als Narben meine Beine punkten. Ich fühle mich weit weg von allem, und das Blut, das ich mit klinischer Sorgfalt studiere, ist ein Beweis, dass ich trotz allem am Leben bin. Ich verfolge es in dem kleinen Plastikröhrchen, sehe zu, wie der Einstichpunkt blau wird. Ich versuche mir vorzustellen, wie es durch meine Adern fließt, pulsierend, lebendig. Am Weg Nachhause vom Labor wird mir schwindlig und ich muss mich zweimal hinsetzen.
Es ist August und ich versuche gegen meinen Körper zu rebellieren. Ich esse nicht, schlafe nicht, rede nicht. Ich sehe meinen Zimmerpflanzen beim Sterben zu und gieße sie nicht. Tod scheint in der Luft zu liegen und es fühlt sich lächerlich an, sich gegen den natürlichen Lauf der Dinge zu stellen. Wenn ich in der Nacht meine Augen schließe, stelle ich mir vor, wie er sich wie eine kühlende Brise auf meine Haut niederlegt. Es ist August und ich denke viel über den Tod nach. Ich habe keine Angst.
Ich scheine langsam zu verschwinden, aber es kommt mir nicht wie eine große Sache vor. Ich denke viel an ein kleines blondes Mädchen, das einst ich war, und ich spüre Mitleid für sie, aber so wie man Mitleid für ein armes Kind in den Nachrichten spürt. Ich denke an die Zimmerpflanzen und an das Blut und an das Mädchen im Spiegel und an das Mädchen in den Nacktbildern und alles scheint eine Version von mir zu sein und gleichzeitig scheine ich gar nicht mehr wirklich zu existieren.
Es ist August und es ist Sommer. Es ist nicht mein erster Sommer und es wird nicht mein letzter Sommer sein. Aber die Temperaturen ändern sich und mit der Kälte kam immer Klarheit.
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