Sonne
Das Peitschen der Wellen gegen das Schiff, ein fauliger Geruch, abgestandenes Wasser, das durch die kleinen aber zahlreichen Risse im Schiffsrumpf eindringt, durcheinanderredende Leute und ein dämmriges Licht. Dies sind die einzigen Dinge, die er seit Tagen gehört, gerochen, gespürt und gesehen hat. Oder waren es Wochen? Er kann sich nicht mehr erinnern, die Zeit nicht mehr abschätzen. Seitdem er das letzte Mal an Deck gewesen ist, muss das Wetter sich gedreht haben, da er einige kleine, feine und helle Sonnenstrahlen durch die verschlossene Luke erkennen kann. Sie bahnen sich ihren Weg über die hunderten lebenden, sowie toten Menschen, die auf engstem Raum nebeneinander liegen, und leuchten ihn an. Sie geben ihm ein Gefühl von Hoffnung und Wärme in dieser nichtendenwollenden Hölle. Er betrachtet seine Hände und Füße, welche von dem Licht angestrahlt werden. Sie sind rot und schwarz gefärbt, von dem Dreck und durch das Blut an seinen aufgeschürften und durch das Wasser aufgeweichten Wunden. Er denkt über die Zeit nach, als er noch mit seinen Freunden und Schwestern draußen im Garten Fußball gespielt hat, und es huscht ein Anschein von einem Lächeln über sein leeres Gesicht. Er wird durch einen lauten Sirenenton aus seiner Erinnerung gerissen. WIUP! WIUP! WOOP! WOOP! Es erklingt eine metallische Stimme, die in einer Sprache spricht, die er nicht versteht. Panik macht sich in der Menge breit und alle schreien durcheinander. Seine Gedanken spielen verrückt. Ob sie wohl am Ufer sind? Sind sie gerettet? Würden sie es wirklich schaffen?
Einige Minuten vergehen, als sich plötzlich die Luke öffnet. Der dunkle Raum wird durch das Licht geflutet. Die hellen Sonnenstrahlen brennen ihm in den Augen, sodass er sie zusammenkneift und seinen Handrücken schützend vor seine Augen und sein Gesicht hält. Ein Mann mit einer gelben Rettungsweste hockelt am Eingang. Nach und nach klettern die Leute die enge verrostete Metalleiter hinauf und steigen dabei über die vielen leblosen Körper derjenigen, die die Flucht nicht überlebt haben und den Umständen unter Deck zum Opfer gefallen sind. Auch er steigt die Leiter hinauf. Oben angekommen wird ihm eine Rettungsweste angelegt, und er wird zusammen mit den anderen Passagieren auf ein großes weißes Boot gebracht. Nachdem alle an Bord des weißen Retters sind, bewegt dieser sich. Einige Minuten und Stunden vergehen. Stunden, in denen er sich vorstellt, wie sein neues Leben wohl sein werde. Würden ihn die Menschen so freundlich empfangen, wie er sie empfangen würde? Würde er nun keinen Hass mehr erfahren? Noch in seinen Gedanken, tut sich am Horizont ein grüner Streifen auf. Als die Leute ihn entdecken, freuen sie sich und beginnen zu jubeln. Die Augen des Jungen werden groß, und Tränen der Erleichterung laufen über sein verdrecktes Gesicht, das von den warmen Strahlen der Sonne angeleuchtet wird.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX
Ihre Spende ist steuerlich absetzbar!
Spendenbegünstigung gemäß § 4a Abs. 4 EStG 1988; Registrierungsnummer KK32646
Weitere Antworten rund um die Spendenabsetzbarkeit für Privatpersonen und Unternehmen
