Sonnenuntergang
Eine warme Brise blies mir auf den Rücken. Das Gras raschelte und die Baumkronen beugten sich im Wind. Hin und wieder, flog mir eine Strähne ins Gesicht. Einfach da zu sitzen und sich den Sonnenuntergang anzusehen, regt zum Denken an. Die Lichtung auf der ich saß war mit Blumen überzogen.
Ich neigte den Kopf. „Was wenn Rom nicht gefallen wäre“, dachte ich, während mein Blick immer noch auf den Sonnenuntergang gerichtet war. „Was wenn es einen dritten Weltkrieg gegeben hätte?“, murmelte ich leise. „Was wenn es einen dritten Weltkrieg noch geben wird?“, seufzte ich, als ich mich vom Sonnenuntergang abwandte.
Ich griff zur kleinen beigefarbenen Ledertasche, neben mir. Der Reißverschluss steckte erst etwas, doch das tat nichts zur Sache, schließlich hatte der Sonnenuntergang nicht vor davonzulaufen. Ich kramte eine Weile in der Tasche herum, bis ich ein kaltes zylindrisches Objekt in meinen Händen fühlte. Erleichtert zu sehen, dass kein Tee ausgeflossen ist, nahm ich die Glasflasche mit dem kaputten Deckel aus der Tasche. Stille. Kein Wind. Kein Grillenzirpen. Kein Rascheln. Pure Stille. Ich zögerte etwas und zuckte anschließend mit den Schultern. Das Öffnen der Flasche brach die perfekte Ruhe, gefolgt von einigen gierigen Schlücken. „Ahh, erfrischend“, sagte ich, während ich die Flasche mit dem kalten Tee verschloss und zurück in die Tasche legte.
Meine Augen schweiften zurück zur Sonne. Ich blinzelte etwas. Die Sonne bildete nun nur noch einen kleinen grellen Fleck, zwischen den zwei Bergspitzen. Ich schüttelte meinen Kopf und richtete meinen Oberkörper auf. „Accidit in puncto, quod non speratur in anno“, ich zögerte kurz, „In einem Augenblick kann geschehen, was man sich in einem Jahr nicht erhofft hätte. Doch ich stelle mir „Was wäre wenn“-Fragen“, flüsterte ich. „Ob dritter Weltkrieg oder nicht“, ich packte das unverschlossene Ledertäschchen und stand auf, „die Gegenwart zählt“. Ich schnaufte erleichtert, als ich sah das der Mond schon bald bereit sein wird, seinen leuchtenden Freund abzulösen.
Ich kehrte um und begab mich auf einen engen Trampelpfad, der von der herrlichen Lichtung hinweg führte. Der Wald glitzerte noch, in den letzten Sonnenstrahlen. Ich drehte meinen Kopf zu den Bergspitzen zurück und warf einen letzten Blick auf die Sonne. „Alles was zählt, ist das Jetzt. Alles was noch kommt, ist reiner Zukunftszauber“, verkündete ich, bevor ich die Handtasche vollständig schloss und den Heimweg antrat.
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