Stell dich einmal drauf
Am äußeren Rand der Vernunft balanciere ich mit meinem Koffer auf einem Geländer. Das Geländer des niederen Balkons ist es, über das wir schon so oft geklettert sind, um uns Gehweg und Schlüsselsuche zu ersparen. Aus meinem Koffer plätschern dänische Postkarten, bunte Unterhosen und ein Sudoku-Block.
Die machen mich gefährlich, die Sudokus, sagst du. Weil, ich mach zwei zum Frühstück und du gehst mit leerem Magen außer Haus. Obwohl, was musst du essen, wenn ein derartiger Ansporn in dir brennt und du dich an deiner Wut sättigen kannst?
Dir kann ich nicht gefährlich werden, denke ich, weil du kannst gut Auto fahren. Und du weißt, welche Arten von Erpressung es gibt. Sowas weiß ich nicht.
Ein Hotelzimmerschlüssel fällt auch aus dem Koffer hinaus, irgendwann dazwischen habe ich also in Zimmer 161 residiert. Dort gab es Radau, deswegen habe ich wohl den Schlüssel geschnappt und bin weitergezogen. Die Schutzkleidung habe ich dagelassen, die Schuhe auch. Deine Schuhe hast du unter einem Auto vergessen, was bist du auch darunter gelegen?
Busse, Züge, Fahrgemeinschaften - nüchtern war da selten jemand. So langes Sitzen führt zu Debatten, Gelächter, Liebeleien: alles nur in der Dauer einer Stichflamme, anhalten tun wir nicht.
So lange Fahrten verwandeln uns alle in Geschichtenerzähler. Fantasien werden zu psychotischen Ideen, lange Nächte und immense Mengen Koffein zwingen uns in die Knie.
Mein Rechtes scheuer ich mir auf, als ich von deinem Skateboard falle. Du nimmst es mir nicht übel und überziehst für mich sogar mein Bett. Dann gehst du mir wieder aus dem Weg, um Schabernack zu treiben. Aber ganz so gefährlich bist du auch nicht.
Gefährlich sind wir beide nicht, denke ich, während du dich zu mir aufs Geländer stellst.
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