Sterbende Hoffnung
Markerschütterndes Kreischen fuhr ihm durch die Knochen, als er gegen Mitternacht nachhause kam. Seine steife Miene verkündete das ohnehin Offensichtliche. Er hatte gesucht, doch wieder einmal ließ man ihn abblitzen. So musste er wiederum für den Hungerlohn weiter in der Fabrik arbeiten. Die Auswirkungen waren unverkennbar in seine Gestalt eingebrannt. Nur übertroffen von dem Schmerz, der ihn durchfuhr, wenn er seiner kleinen Amali in die Augen sehen musste. Geplagt von dem zehrenden Hunger, schrie sie ununterbrochen. Er wagte es kaum seiner Frau unter die Augen zu treten. Die Erschöpfung lähmte seine Gliedmaßen. Ihren fragenden Blick wehrte er mit einer verkrampften Geste in Richtung seiner Tasche ab. Sie zog den Tageslohn heraus und beutelte die Tasche. Sie hoffte irgendwo im letzten Winkel noch etwas zu finden, doch es ähnelte mehr einem Wahn, denn die Entlohnung war wie jedes Mal karg. Ihre Falten schoben sich noch weiter. Lange war ihre kennzeichnende Lebensfreude den Umständen zum Opfer gefallen. Es wurde still. „Nicht Genug“, hörte er den Raum flüstern. Ein Stich in sein Herz. Sein Unterbewusstsein quälte ihn. Er wusste, dass zu wenig vorhanden ist, doch immer, wenn er dies seine innere Stimme sagen hörte, war es so, als drückte ihm alle Last der Welt auf seine Brust. Er begann zu keuchen. Amali lächelte ihn an und ein kleiner Hoffnungsschimmer zog über sein Gesicht. Doch nun wog die Last umso schwerer, denn ihm wurde nur noch mehr bewusst, dass er ihr nicht das geben konnte, was sie verdiente. Seine Frau legte ihm Amali in die Arme. Er konnte sie nicht halten und Amali glitt ihm aus seinen tauben Händen, nicht nur die Arbeit hatte ihm schwer zugesetzt. Er legte sich auf den kalten Boden, seine Matratze hatte er längst verkauft, um Amali zu versorgen. Nur ein abgewetzter Polster blieb ihm. Er schlief niemals lange. Noch bevor es hell war, machte er sich auf seinen zweistündigen Fußmarsch um noch vor der Arbeit in der Fabrik sich um einen neuen Job zu bewerben. Vergebens. Stattdessen versuchte er an diesem Tag das Doppelte an Arbeit zu verrichten. Seine Anstrengung jedoch glich der von dreien. Für ihn hatte es sich gelohnt, denn er hatte an diesem Tag so viel verdient, dass er Amali einen Stoffhasen kaufen konnte. Er schleppte seinen wunden Körper den restlichen Heimweg. Es war stockfinster, doch das kümmerte ihn wenig, denn der Hase in seiner Hand war der erlösende Beweis, dass er für seine Familie sorgen konnte. Auch wenn es oft knapp werden würde. Schon von weitem hörte er Amali schreien. Nicht wie sonst. Augenblicklich ließ er den Stoffhasen fallen und begann so schnell ihn seine Beine trugen zu rennen. Die alte marode Hütte war auf sie eingestürzt. Panisch suchte er in den Trümmern, doch ihr Schreien erlosch. Nur das Weinen seiner Frau erfüllte die Nacht. „Nicht Genug“, wimmerte sie. Ein Stich. Ein Fall.
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