Sternsplittervon Bernadette Sarman
Sie wusste noch, wie sie vor dem Tisch gestanden war. Sie hatte die Schlüssel angestarrt, eine Metallinsel auf dunklem Holz. All die Jahre, all die Erinnerungen, hatte sie gedacht. Waren sie Nichts für ihn gewesen? Ein gemeinsames Haus. Ein Kind. Unser Kind. Noah.
Esther hatte an der Ehe festgehalten, obwohl sie damals schon länger den Riss in der Beziehung gesehen hatte. Auch wenn sie versucht hatte, ihn zu ignorieren, das Splittern, leise krachend wie Papier, das man zusammenknüllte, hatte sie gehört.
Es war nicht mehr wie früher, glücklich waren sie nicht mehr gewesen. Eines Tages war alles vorbei. Die andere Seite ihres Bettes, eine dumpfe Erinnerung an seine Wärme. Wo bist du? Esther war die Treppen nach unten gestürzt. Sie hatte die Tür ins Wohnzimmer aufgerissen, nichts, warf einen Blick aus dem Fenster. Ihr Herz hatte einen Satz gemacht, das Auto, weg. Vielleicht ist er bei der Arbeit, hatte Esther versucht sich zu beruhigen, ja, er macht Überstunden, das wird es sein. Sie war auf und ab gegangen, durch das ganze Haus, dann hatte sie die Hausschlüssel auf dem Esstisch entdeckt.
Fort. Nichts als Fassungslosigkeit, nichts als Stille, außer ihr Herz, das seinen Namen klopfte. Tu mir das nicht an, dachte sie.
Bis dass der Tod euch scheidet, die Worte hatten an ihren Lippen geklebt.
Esther hatte sich wie Glas gefühlt, sie hatte Angst, zu zerspringen.
Da war nichts mehr außer Traurigkeit, dickflüssig ist sie in Esther hineingetropft. Sie ist durch ihren Körper gewandert und blieb in ihrer Brust hängen. Wie lange dauert sie, diese Schwere, hatte sie sich gefragt, ich will nicht zusammenbrechen, ich darf nicht.
Alles, woran sie geglaubt hatte, war in ihren Händen zerbrochen, schnitten ihr die Finger blutig. Die Scherben knackten noch immer, wenn sie daran zurückdachte.
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„Mama?“
Die Zimmertür schwang einen Spaltbreit auf, ein Lichtfaden fiel auf ihre Decke. Sie erkannte den Umriss seines kleinen Körpers im Halbschatten, er stand im Türrahmen. In der linken Hand hielt er seinen Stoffhasen umklammert, dessen Beine auf den Boden schleiften.
Esthers Rücken knackte, als sie sich aufrichtete.
„Noah?“
„Mama? Es ist so dunkel.“
Esther hob ihre Decke.
„Komm zu mir. Ich bin ja da, mein Schatz.“
Sie hörte Noahs nackte Füße auf den Boden schmatzen, dann spürte sie seine Wärme neben sich. Er bettete seinen Kopf auf ihren Schoß, während sie ihm die Locken aus der Stirn strich. Esther spürte, wie Noah sich in ihren Armen entspannte.
„Mama?“
„Ja, mein Schatz?“
„Gibt es heute Sterne?“
Ihre Knie drückten sich in die Matratze, als sie sich aufrichtete, mit einer kurzen Bewegung schob sie den Vorhang neben ihrem Bett zur Seite. Durch das Fenster leuchtete ihr der Nachthimmel entgegen.
Esther spürte, wie Noahs Rücken kurz vor Staunen erzitterte. Sie schlang ihre Arme um seinen weichen Körper und gab ihm einen Kuss.
Gemeinsam starrten sie in die Dunkelheit.
Esther erinnerte sich vage daran, wie sie als kleines Mädchen unter dem Nachthimmel gelegen war, sie war fasziniert gewesen. Sie hatte sich vorgestellt, wie ein alter Herr hinter den Sternen vor einer Kugel saß und mit dem Zirkel Löcher durch die blaue Oberfläche stach und feine Sternbilder zeichnete.
Esther spürte Noahs Hand, seine Finger drückten sich warm durch ihr Nachthemd. Sie küsste seinen Haaransatz, der milchige Kindergeruch stieg ihr in die Nase.
„Können wir noch … die Sterne anschauen gehen?“
„Draußen?“
Er nickte.
„Aber draußen ist es noch dunkler als hier, weißt du das?“
„Nein, Mama. Du bist ja da.“
Sie musste lächeln.
„Du hast Recht, mein Schatz. Ich bin ja da.“
Ihre Wangen brannten, aber es war Dankbarkeit, die salzig schmeckte.
Esther hatte noch immer Noah. Sie war gebrochen worden, zersplittert, aber jetzt sah sie das Licht durch die Scherben glitzern. Jetzt sah sie Sterne.
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