Stilles Dämmernvon Sara Schmiedl
Als wir hereingekommen waren, war draußen dieses seltsame graue Licht gewesen, das die satte Röte des Sonnenuntergangs im Spätherbst häufig ersetzt. Das graue Licht, das alles diffus erscheinen lässt, als wäre man gerade aus einer Narkose erwacht und müsste sich erst wieder erinnern, was geschehen war, wo man war. Wenn wir jetzt aus dem Fenster blickten, konnten wir nicht einmal mehr die Latten des Gartenzauns ausmachen. Vielleicht war das die Schuld der Latten, die morsch und von Pilzen und Flechten gräulich überzogen sich nahtlos vom grauen Licht einhüllen ließen, verschlucken ließen, als wäre das Licht das Öl, das sich in eine Wasserlacke ergießt – am Ende sieht man nur noch das zähe Schwarzglitzern. Die Dunkelheit jenseits der Glasscheibe war dicht und auch hier, drinnen, auf der anderen Seite des Fensters, gewann sie an Masse, als wir das künstliche Licht Lampe für Lampe ausknipsten. Eine Glühbirne flackerte, als wäre sie ein kleiner nasser Hund, der frierend zittert. Instinktiv rückten wir alle näher zusammen, auch wenn wir uns nicht mehr sicher sein konnten, an wessen Rücken angeschmiegt wir jetzt saßen. Das Muster des Orientteppichs, auf dem wir vorhin eben noch Platz genommen hatten, tanzte mit den Schatten. Wir beobachteten diesen Reigen aus der sicheren Hochstandsposition des Sofas aus. Die Bank war grau wie der Himmel zuvor und eigentlich nur für vier Personen gedacht, nun kauerten wir dort, alle, viel zu viele, wie im Frühjahr die Schwalben auf der Stromleitung. Mit der Dunkelheit hatte sich auch die Stille herabgesenkt. Vorhin, im Licht, da war auch Platz für Lärm gewesen. Nun wirkte jedes laut gesprochene Wort verboten. Das, was zuvor zwischen den einzelnen Sätzen mitgeschwungen war, aber nicht ausformuliert wurde, schwebte noch im Raum und wurde mit jeder ungesagten Äußerung mächtiger. In der Dunkelheit, in der Stille, da gedieh es, durchlebte die Metamorphose von einem undefinierten Irgendetwas in ein fassbares Etwas. Wir sprachen nicht, wollten es in seinem Werdegang nicht stören. Wir spürten lieber in die Dunkelheit hinein, spürten dem Etwas nach, wie es aus den Schatten schöpfte und mit der Lautlosigkeit allen das Schweigen aufzwang. Auch morgen, wenn es wieder hell ist, werden wir schweigen. Wir werden nicht versuchen, das Etwas mit Worten zu binden, wo es sich doch mit dem erstarkenden Tageslicht verkrochen hat, in die Sofaritzen und Schatten zwischen den Regalen, wo es wartet und lauert, wo es hungrig ist wieder zu wachsen, sobald die Schatten erneut zu tanzen beginnen. Wir werden einstweilen so tun, als hätten wir die Transformation des Ungesagten nie gespürt, wir werden wieder auseinandergehen. Und allein auf die nächste Dunkelheit warten.
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