Stimmen im Kopf
Es ist ruhig in meinem Zimmer im 2. Stock. Ein Seufzen entkommt meinen Lippen als ich den Stift erneut auf das Papier senke und nur Millimeter darüber schweben lasse. Das leere Blatt starrt mir grell und blendend entgegen. Es verhöhnt mich. Ich gebe auf, senke den Kopf und lasse den Gedanken, die es mir unmöglich machen, mich zu konzentrieren, freien Lauf:
"Hast du bemerkt, wie er uns heute angesehen hat? ", fragt eine traurige Stimme, kaum hörbar aus einer tiefen Ecke Unterbewusstseins.
Nein.
"Das liegt daran, dass er uns nicht angesehen hat", kommt es bitter aus der anderen Ecke, "Ist an uns vorbeigegangen, als wären wir Fremde! "
Ist das so? Ist mir gar nicht aufgefallen.
"Uns brauchst du nichts vorzumachen. Wir haben es alle gespürt. Nicht im Herzen, wie die meisten vermuten würden. Im Bauch. . . als hätte dir jemand ein lebenswichtiges Organ entnommen", lautet die Antwort. Nicht wütend oder anklagend, sondern sanft und voller Mitgefühl.
"Wie kann er uns das antun? ", meint die traurige Stimme, mehr und mehr zu einem Häufchen Elend schrumpfend, "Wir sind beste Freunde! Waren es zumindest bis. . . naja, ihr wisst schon. . . "
"Ernsthaft? ! Du kannst es nicht aussprechen? Wir wissen alle was du meinst, warum es also beschönigen? ! Wir hatten Sex mit unserem besten Freund! ", keift die Stimme ganz außer sich.
Es hat nichts bedeutet. Ich seufze frustriert auf. Kopfschmerzen bahnen sich den Weg zu meinem Gehirn. Hämmern wie Bauarbeiter gegen meine Schädeldecke und versuchen durch meine Schläfen zu brechen. Er war betrunken. Es hat nichts bedeutet.
"Wir waren auch nicht ganz bei Sinnen. . . ", räumt die Stimme der Vernunft nüchtern ein. "Nicht ganz bei Sinnen? ! ", antwortet die ewige Widersprecherin, "Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts! Wir haben alles zerstört! Wir haben unseren besten Freund verloren! "
Das reicht! GENUG! Ich fege alle Gedanken aus meinem Kopf. Sperre sie in Truhen, stelle sie in eine Abstellkammer und verbarrikadiere die Tür. Endlich kehrt Stille ein. Bis. . .
Aufgeregtes Gemurmel, ein Wimmern, jemand versucht mit Gewalt die Tür zu öffnen. Ich gehe einen Schritt auf die Tür zu. Neugier ist nicht der Katze Tod. Neugier ist ein halbverhungerter Straßenköter, der gierig nach Nahrung schnappt. Ich öffne die Tür.
Nur einen Spalt breit.
Und die Schutzmauer bricht ein.
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