Stimmenplage
Immer wieder höre ich Sie, diese Stimmen. Sie quälen mich, schreien nach Aufmerksamkeit, halten mich vom Schlafen ab, verfolgen mich auf Schritt und Tritt. Und ich möchte nur weg aus dieser Welt, dieser grauen, düsteren, nicht schönen Welt in meinem Kopf. Ich habe mir geschworen abzuhauen, doch geschafft habe ich es nie. Zu gehen war mein größter Wunsch, alles hinter mir zu lassen. Gehen. Weggehen. Fortgehen. Ist schwerer als gedacht.
Ich hatte Hoffnung. Doch jetzt, da ich zum gefühlt tausendsten Mal in diesem Krankenzimmer sitze, gequält und müde, da verblasst sie von Mal zu Mal mehr, die Hoffnung verweht.
Freunde habe ich schon lange nicht mehr, außer die drei Stimmen in meinem Kopf. Ob sie wirklich Freunde sind? In Wirklichkeit fressen sie an mir, zerfressen mich, meine Seele und meinen Kopf.
Nun sitze ich hier. In diesem Zimmer, schon wieder. Es ist klein und nicht gemütlich. Die Ärzte kennen mich schon. Sie haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Das gehört zu den letzten Dingen, die ich noch spüre. Aber was soll’s?
An die Untersuchungen und Schläuche habe ich mich längst gewohnt, bei den ersten Malen hatte ich Angst, mittlerweile ist aus der Prozedur Routine geworden.
„Geht es dir besser“, fragt Dr. Flauren. Sie ist die einzige, von der ich ansatzweise glauben kann, dass sie weiß, was mit mir los ist. Ich nicke nur. „Sicher, du siehst die letzten Tage wieder schlechter aus.“ „Ja, gerade wieder Downphase, im dunklen Tal und darüber schwere Wolken“, murmele ich. Sie lächelt mir ein letztes Mal zu. Dann geht sie, schenkt mir ein verzogenes Lächeln. Weg.
Zu Hause dusche ich. In den Spiegel schaue ich kaum noch, denn was mir dann entgegen schaut, verzerrt und fahl, gefällt mir lange schon ganz und gar nicht mehr. Die meisten Menschen gehen an mir vorbei, machen aber Komplimente wegen meines dünnen Gestells, meinen langen Beinen, den hervorstehenden Wangenknochen, doch was dahinter für Schmerzen und Selbstverletzung steckt, sieht keiner. Wenn ich in der Dusche stehe, denke ich darüber nach, zu einem Ergebnis reicht es nie. „Wie war die Therapie,“ fragt Mama mich, als ich aus der Dusche trete. „Gut, anstrengend,“ antworte ich. Meine Mutter ist die verständnisvollste Person, die ich kenne, zwar weiß ich, dass ich ihr leid tut, aber welche Mutter wäre da anders?
„Willst du mit mir essen? Sushi.“
„Gerne, komme gleich,“ sage ich, schlüpfe in die Jogginghose, ziehe einen Pullover an. Von meinem Zimmer gehe ich die Stiege hinunter. An den Wänden entlang der Stiege hängen die Familienbilder. Viele. Wir alle zusammen. Oder soll ich eher sagen: Da waren wir noch alle zusammen. Mein Vater verließ uns vor einigen Jahren. Er hat eine neue Familie, meine großen Brüder leben nicht mehr daheim, sondern studieren oder arbeiten. Meine Mutter und ich leben seither in dem großen Haus allein. War schwer. Und es ist schwer, oft. Nur manchmal nicht. Wenn dieses seltene Manchmal da ist, taucht kurz, flüchtig der Gedanke auf, dass alles wieder gut gehen könnte.
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