Stumme Schreie
Sie wusste nicht genau, wann sie das erste Mal so über ihn dachte.
Wann sie angefangen hatte ihm innerlich Vorwürfe zu machen und ihr war auch nicht genau klar, wann sie das erste mal mit dem Gedanken spielte sich von ihm abzuwenden. Doch ihr war bewusst, dass es vieles leichter machen würde. Sie müsste nicht mehr bis spät in die Nacht aufbleiben und auf jemanden hoffen, der sie mitten in der Nacht dann nur mit einem Anruf vertröstete und das langersehnte Treffen auf einen anderen Zeitpunkt verschob. Keine herbe Enttäuschung mehr erleben, wenn er nach Wochen, in denen er seinen Beruf vor Sophia gestellt hatte, nachhause kam und sie nur flüchtig küsste. Übermüdet war, von seinen nie endenden Überstunden.
Doch jedes mal, wenn sie den vertrauten Schlüssel im Türschloss hörte und seine Schritte durch den Flur hallten, waren der Frust und die Zweifel der letzten Tage verschwunden und kamen erst wieder zurück, wenn er wieder durch dieselbe Haustür hinaus schritt und die Tür für eine weitere Ewigkeit hinter ihm ins Schloss fiel.
Sie fühlte sich unglaublich egoistisch, als sie die unberührte Kaffeetasse von sich schob und sich mit beiden Händen durch das blonde Haar fuhr. Schließlich war sie es gewesen, die ihn ermutigt hatte auf die Stellenanzeige zu reagieren und jetzt würde sie ihn deswegen abweisen? Es erschien ihr selbst nicht fair, doch sie wusste, dass es genug Nächte gewesen waren, in denen sie vergeblich gewartet hatte. Zu viele endlose Stunden, in denen sie in Hoffnung auf einen Anruf im leeren Wohnzimmer gesessen hatte und zu viele qualvolle Wochen, wenn er ihr wieder absagte und sie hingebungsvoll die Tage bis zu ihrem nächsten Treffen zählte.
Es war Zeit einen Schnitt zu machen, genau hier; Genau jetzt.
Auch wenn ihr Herz sich für Wochen schwer anfühlen und ihre Hand immer wieder nach dem Telefon greifen wird- Sie wusste, dass der Schmerz jedes Mal zurück kommt, wenn sie in diesem Teufelskreis gefangen blieb und sich nicht von ihm trennte. Doch dieses Mal würde es anders laufen. Sie würde ihre Angst überwinden; Dem Einhalt gebieten, was schon seit Monaten genug war, sie nächtelang quälte- Und das noch heute Nacht.
Sophias Gedankenstrom wurde unterbrochen, als das Telefon den ersten Ton anschlug. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie langsam aufstand und mit jedem Schritt in Richtung des Telefons langsamer wurde, ihre Hand nur vage ausgestreckt. Sophia zitterte, als sie den Griff des Telefons schließlich zögernd umschloss, ihr Herz pochte gegen ihre Rippen, schmerzhaft; stark. Als würde es ihr erkenntliche Worte entgegen brüllen, die sie zu spät erreichten.
Und noch bevor sie seinen Namen hauchen konnte, wusste sie, dass er es nicht war.
Noch bevor die schlechte Nachricht sie erreichte, verschleierten Tränen ihren trüben Blick.
Noch bevor der Hörer auf dem Boden zersprang, war ihr Herz in tausend Teile zersplittert.
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