Sturz ins Schwarze
Langsam durchdrang das scharfe, verrostete Metallstück ihre Haut. Sie stöhnte und Tränen liefen über ihre fahlen, blassen Wangen. Unter Schmerzen zog die aschblonde Frau das kantige Stück Metall aus der tiefen Wunde und ließ es fallen. Dickflüssige Blutstropfen flossen ihr rechtes Bein hinab und vermischten sich mit dem bräunlichen Wasser, das 20 Zentimetern über dem Boden stand. Schnell zog sie ihren grauen Seidenschal aus und band ihn eng um ihren rechten Oberschenkel um die Blutung zu stoppen. Ein leises Plätschern drang an ihr Ohr, dass Meter für Meter lauter wurde. Erst als es einem Donnern gleichkam, erblickte sie am Ende des Ganges Tageslicht. Das Wasser strömte Richtung Ausgang und riss einige kleinere Holzplanken, sowie zwei Rattenkadaver mit sich. „Scheiße“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Schon seit sie zwölf war, hatte sie ungeheure Höhenangst. Ihre Mutter war damals abgestürzt und kam dabei ums Leben. Die leeren, toten Augen erblickte Sam in ihren Träumen immer noch. Ein Schauer rann ihr über den Rücken. Das flaue Gefühl, das sie bis eben noch im Magen gehabt hatte, hatte sich zu schlimmen Krämpfen ausgebreitet. Ihr wurde schlecht. Kalter Schweiß rann ihr über den Rücken und lief über ihre Stirn hinein in die Augen, die augenblicklich zu tränen begannen. Sie nahm all ihren Mut zusammen, tat einen Schritt vorwärts und blickte in die Tiefe. Augenblicklich wurde ihr kotzübel und sie erbrach den Schinken-Käse Toast vom Vortag. Zitternd ließ sie sich auf die Knie sinken. Jedes Fünkchen Mut, dass sie gerade eben noch hätte aufbringen können, war verschwunden. Gewichen war es blanker Angst. „Warum hatte sie sich nur auf diese Wette eingelassen? Hätte sie nur nicht so geprahlt und klein beigegeben wäre sie jetzt nicht in dieser Situation. " Tränen nahmen ihr die Sicht und sie schluchzte markerschütternd. „Das kann doch nicht wahr sein“, verfluchte sie sich innerlich selbst. Ihre Angst war Ärger gewichen. Frustriert schlug sie gegen die Wand. Ein scharfer, schockartiger Schmerz fuhr ihr bis in den Oberarm. Mit Adrenalin vollgepumpt trat das dürre Mädchen auf die Kante zu, hinter der das Wasser mindestens zwanzig Meter in die Tiefe stürzte. Sie zitterte, was allerdings nicht nur der Angst, sondern auch der Kälte zuzuschreiben war. "Nur Mut", flüsterte sie sich selbst zu. 3… begann sie sich ihren eigenen Countdown zu setzen. 2…sie wagte kaum zu atmen. 1. Sie ließ sich fallen. Sie wollte schreien, doch es drang kein Laut über ihre Lippen. Als ihr schmaler Körper in das dunkle Nass eindrang, nahm sie ihre Umgebung nur schwammig wahr. Erst als ihre Lungen zu zerspringen drohten, kam sie an die Oberfläche. Mit letzter Kraft schwamm sie an Land und zog sich hoch. Ihre Kleidung klebte an ihrem Körper. Völlig erschöpft gab sie der Dunkelheit nach, die sich langsam, wie ein Schleier über sie legte.
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