Sturz und Flug
In deine Hände, oh Herr, lege ich meinen Geist. Und ein letztes Stoßgebet verließ kaum merklich meine Lippen.
„Bei allem Respekt, junge Dame, aber kriege ich heute noch eine Antwort? "
Wie so oft schon starrten mich ihre eisblauen Augen an. Sie hatten diesen höhnischen und herablassenden Blick, diesen irren Blick, bei dem man nicht wusste, ob sie gleich die Fassung verlieren oder anfangen würde, zu lachen. So oder so, sie würde mich erniedrigen, versuchen, mir mit ihren scharfen Worten die Kehle aufzuschlitzen. Es war ein schonungsloser Kampf, der nur Kummer und ein schwergewordenes Herz brachte. Daher nützte es nichts. Man konnte nur gewinnen, indem man aufgab. Verlor, losließ. Also blieb ich still, auch wenn die Worte wie Funken auf der Zunge brannten.
„Ich weiß es nicht. " Der Satz blieb in meinem Hals stecken. Ich merkte, dass ich unruhiger wurde und obwohl meine Hände unter dem Tisch wie Espenlaub zitterten, spürte ich die Hitze in mir lodern. In der Klasse wurde es ohrenbetäubend still, ich hörte nur noch ein Rauschen in meinem Ohr und meinen stetig schneller werdenden Atem.
„Nun ja, du scheinst ja ohnehin nicht viel zu wissen. " Sie lachte schrill, strich sich durch ihr krauses Haar, spielte ihr Spiel und wusste genau, dass sie gewann und ich verlor. „Aber das hier", sie zeigte auf meine Arbeit in ihren Händen. „Das zu lesen war eine Zumutung. Was denkst du nur, wer du bist? "
Ich war immer nur ich, und fand den Fehler wieder einmal nicht.
Als würde sie auf eine Reaktion warten, sah sie in die Klasse und ich hörte ein leises Kichern umhergehen. Ein kleiner Stich ins Herz, das war‘s.
„Und? Hast du eine Erklärung dafür? "
Ein Kopf voller Gedanken, die nicht das tun, was sie sollten.
„Nein, es kommt nicht wieder vor", log ich. Denn was ich dann tat, konnte ich selbst schwer erklären. Anstatt nach vorne zu gehen und meine Arbeit ihren Krallen zu entreißen, da machte ich etwas anderes. Irgendwann musste es doch enden.
Mein Herz, in meiner Brust brennt es noch immer.
Wortlos fing ich an, meine Tasche einzupacken. Natürlich sahen mir alle erstaunt zu, schließlich hatte die Stunde gerade erst begonnen. Auch sie bekam es zweifellos mit. Ich ignorierte ihren Blick und räumte meinen Platz, schritt langsam mit erhobenem Kopf zur Tür, genoss jeden Schritt und fühlte trotzdem die Angst und den Mut siedend heiß in mir pochen. Durch meine Adern floss das Leben.
„Wage es ja nicht, meinen Unterricht zu verlassen. Wohin willst-"
Im Türrahmen blieb ich stehen. Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen und sah ein letztes Mal in die erstaunten, teils amüsierten Gesichter. Ungewollt schlich sich dennoch ein triumphierendes Lächeln auf meine Lippen. „Sprechen Sie ruhig weiter. Ich werde mir ihre Worte aber nicht länger anhören. " Beim letzten Satz schenkte ich ihr mein schönstes Lachen, und die Sonne schien unter- und aufzugehen zugleich.
Die Tür ließ ich offen hinter mir. Ich wusste und wünschte mir insgeheim, dass sie den Hall meiner Schritte noch bis zum Ausgang hörten.
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