Tag war, Tag ist, Tag wird
Mein Kopf war dumpf und schwer. Ich wusste nicht, ob ich schon wach war. Abgesehen davon blieb ich liegen, denn selbst wenn ich nicht liegen geblieben wäre, machte es keinen Unterschied. Mein Kopf ist dumpf und schwer. Noch benommen stelle ich mir die Frage, ob ich noch schlafe. Trotzdem oder deshalb bleibe ich liegen; und ich denke wieder von vorne.
Mein Kopf wird dumpf und schwer sein, und werde mir nicht sicher sein, ob ich mich noch in einem Traum befinde oder schon der Wirklichkeit. Aber eigentlich wird die Antwort auf diese Frage egal sein, so egal wie die Antworten auf alle Fragen, und ich werde liegen bleiben, weil…
Tag, weil, Tag, weil.
Ja, Warum? Die Frage wird im Raum entstehen und im Raum vergehen. Ich werde in meinen Kopfpolster atmen, Gesicht nach unten, und werde nicht wissen, wer ich bin und was ich hier mache.
Ich stand auf der Bushaltestelle, und ich hatte keinen Regenschirm dabei. Dass ich nass wurde, war mir so egal wie die Antwort auf den Grund dafür.
Ich stehe auf der Bushaltestelle, und die Wartenden, die auf ungeduldige und erschöpfte Weise mit den Füßen wippen und auf den Handys scrollen, existieren dort so unberührbar wie immer. Der Bus ist verspätet, die Stimmung unzufrieden, aber ich sehe keinen Sinn in ihrer Ungeduld und in dem, auf was auch immer sie wirklich warten mögen.
Der Bus wird jeden Tag zur Bushaltestelle kommen, und ich werde jeden Tag mit mir selbst dort stehen und müde auf das seltsam sinnlose Wort starren, das jemand mit Leuchtstift in die Ecke des Busfahrplans gekritzelt hat. Die Schwünge und Kreise der Schrift haben eine sorglose Leichtigkeit an sich, wie ich sie nicht kenne.
Endlose Kreise. Tag, Tag, Tag.
Immer gleich. Immer gültig.
Ich saß, Arme um Knie, an der Tür einer Schultoilette und ich dachte darüber nach, ob mich abgesehen von einer alphabetischen Liste jemand vermisste. Dann dachte ich wieder nicht, aber der Atem des zurückgebliebenen Gefühls war lang.
Ich sitze, Arme um Knie, an der Tür einer Schultoilette, und die schrille Klingel löst keine Regung in mir aus. Ich werde, Arme um Knie, an der Tür einer Schultoilette lehnen und mich fragen, wer all die Anderen denn wirklich sind und was sie wirklich wollen. Ich werde mich fragen, ob ich dasselbe über mich wissen sollte oder wollte, und ob ich nicht das machen müsste, was alle in ihrem Leben so machen.
Lachen. Hörte ich, irgendwo hinter Türen und Mauern, vier- oder fünfstimmig, und ich versuchte, die Emotion dahinter zu durchschauen. War es Freude? Waren sie glücklich? Oder war es nur ein einzelner, flüchtiger Moment?
Tag, sein, Tag, aus.
Was machen nur all diese Tage mit mir?
Was mache ich mit all diesen Tagen?
Eines Tages werden die langen, schweren Atemzüge meiner Gedanken in sich zusammenstürzen und eine schwache Knospe befreien. Ich werde die Knospe den Augenblick nennen, und der Augenblick wird blühen. Dieses einen Tages werde ich den Sinn jenes Wortes aus Leuchtstift verstehen, das in die Ecke des Bushaltestellenfahrplans gekritzelt ist.
Lebe.
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