Tage die war´n
Ich bin ein Mensch, der mit beiden Beinen und festem Schuhwerk im Leben steht. Ich glaube zu wissen, wer ich bin, und ich glaube zu wissen, warum ich so bin.
Ich habe nunmal meine Vergangenheit erlebt, habe meine Erfahrungen gesammelt, meine Eindrücke gewonnen. Ich bin gewachsen. Und nun arbeite ich. Meine Suche ist beendet und ich weiß, wohin ich gehöre. Ich bin zwar noch jung, aber ich liebe diese Bestimmtheit; diese Sicherheit.
Eben so laufe ich Tag für Tag denselben Weg voller Kieselsteine ab, der am Park und dem Teich mit den Schwänen vorbeiführt, und erfreue mich meiner Bestimmung. Wunderschön ist das. So entspannt im immergleichen Tempo von A nach B zu pendeln, wohlwissend, dass die Strecke von A immer nach B führt und zurück.
Wunderschön könnte das sein. Nur leider steht da dieser Mann am Teich, während ich morgens Richtung Arbeit schwebe. Er ist nicht alt – kaum älter als ich – und auf Armut lässt seine Kleidung auch nicht schließen. Obwohl sie mir viel zu zottelig wirkte. Hunderte löchrige Jeans muss dieser Herr besitzen, und zu jeder davon ein Dutzend ungebügelter Hemden mit Streifen; sonst sicher nichts! Und der Bart am Kinn und die Koteletten. . .
Penibel gestutzt hält er diese allerdings, wohl die einzige Ordnung in seinem Leben.
Aber so steht er da. Und ich frage mich bei aller Herrgotts Güte, warum dieser Mann dort steht, wenn er doch weder als zu alt, noch als obdachlos zu beschreiben ist. Ein jedes Mal da ich vom Haus zur Arbeit wechsele, steht er an einem anderen Punkt um den Teich. Und gen Abend, wenn es für mich Zeit ist, zurückzuschwadronieren, hat er sich bereits einen Weiteren gesucht.
So jedenfalls wandern wir. Ich folge zwischen dem A und dem B; er mit seinen Punkten A und C und H und T und wer weiß wie vielen noch. Jeden Tag an anderen Orten, und für mich ist klar: Dieser Kerl ist ein Taugenichts, ein Verlierer, einer ohne Sinn und Verstand. Er sucht nach sich selbst und vergisst dabei das Leben. Das weiß ich, weil ich selbst nicht mehr so bin. Ein bisschen verachte ich ihn dafür.
Doch dann kommt es eines Tages zu etwas Besonderem. Ich laufe am Morgen an dem gewohnten Teich vorbei und sehe, wie der gewohnte Mann von einer ungewohnten Frau umarmt wird. Es hält einige Sekunden, dann lässt sie ab von dem Regungslosen und kehrt zurück auf meinen Weg. Ich blicke noch einmal zu dem Verlierer hin, dann kann ich nicht mehr widerstehen. Ich frage überstürzt die Frau, was der nicht arme und nicht alte Mann den ganzen Tag so mit seiner Zeit zu tun gedenkt und was es überhaupt auf sich hat mit ihm. Was mir die junge Frau dann Hals über Kopf erzählt, lässt meine Kinnlade meine Schuhe küssen.
Ich bin ein Mensch der im Leben steht, und heute bin ich ganz plötzlich gewachsen. Und jedes Mal wenn ich nun von A nach B oder umgekehrt reise, blicke ich hinüber zu dem Mann und verstehe ihn ein bisschen. Aber nicht ganz; das weiß ich, weil ich selbst nicht so bin.
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