Tartaruga
Ein warmer Wind wehte diesen Abend, mit ihm klatschten kleine grünschimmernde Wellen an der Küste, die gesäumt war von weißem Sand und kargem braunen Fels. Hinter uns die grellen Lichter von Recife, während sich vor uns das dunkle Meer ausbreitete und sich der klarschimmernde Himmel der Sommernacht offenbarte.
Wir tranken Cachaca und pinken Corote, nicht etwa um zu genießen, vielmehr zum Trotz. Mit den Lichtern einer ganzen Stadt hinter uns fühlten wir uns unschlagbar, mit dem Rauschen der Wellen sollten wir stetig stärker werden, weiterwachsen, uns selber in höhere Ebenen katapultieren.
Da war nun zuerst ich, der ruhige Beobachter, der von sonst niemanden aufgenommen wurde, als dieser Gruppe. Denn ich brachte ihnen den geschmuggelten Alkohol, weshalb sie mich gut nutzen konnten. Im Gegenzug dazu erhielt ich Menschen, die sich selber als meine Freunde bezeichneten, mit denen ich reden konnte, wenn auch die Themen mich nie interessierten
Mit dabei war auch Thiago, 17, unsicher, abgestoßen von seiner Familie. In unserer Schule verschrien als geschminkte Junge, der mit anderen Jungs schmust. Ein Abgestoßener, der dennoch gefährlich sein kann, verbal und physisch aggressiv. Aufbrausend, unversöhnbar und doch zerbrechlich, so wie auch heute. Wo er sich für unantastbar hielt, liegt er nun da, zwischen den Beinen anderer, in seinen eigenen Tränen ertrinkend.
Und da war dieses Mädchen, das ich bis dahin nicht kannte, wohl spontan mitgekommen ist. Ich kannte ihre Geschichte nicht, doch sah wie sie trank, im Alkohol duschte, im Cachaca eine Zuflucht fand. Eine geübte Trinkerin war sie nicht, sie übergab sich mehrere Male im weißen Sand rund um uns. Ihr Schwindel, ihre Verwirrung ging so weit, dass sie anfing, sich im Sand zu wälzen, ihr Sommerkleid halb ausgezogen, Füße und Arme wie Flossen verwendend.
Und da war ihr Name geboren: Tartaruga. Schildkröte.
Tartaruga trank weiter und bis zum Unbewusstsein. , , Wir müssen sie hier rausbringen, es ist spät‘‘, versuchte ich einen Rettungsversuch für die gestrandete Wasserschildkröte. Wir halfen ihr aufzustehen, sie aufzurichten. Doch wohin mit einem Mädchen, dessen Nachnamen und Haus man nicht kennt?
Wir wanderten zu den abgelegenen Gassen nahe dem Strand, als wir im Dunklen erschreckt worden sind. Es war ein Anwohner, der auf Spanisch mit uns herumschrie. Wir verstanden nur wenig, doch wurde uns klar, dass er von uns forderte, einen Krankenwagen zu bestellen. Da standen wir nun, zehn Minderjährige, die sich heimlich besoffen haben, die nicht wussten: Wie jetzt?
Eine halbe Stunde erblickten wir die weißen Lichter eines Ubers. Thiago hat es bestellt, der diese Sorge von sich schmeißen wollte. Zwei andere Mädchen fuhren mit, in die Morgendämmerung. Wir transportierten Tartaruga ab, ohne wirkliches Ziel, ohne der Option, zuzugeben. Wir übergaben sie dem Schicksal.
Das war auch das letzte Mal, dass wir Tartaruga sehen sollten, am Montag und die Tage, Monate darauf erschein sie nie wieder in unserer Schule, noch in Recife.
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