Tick Tick Boom
„Sie sind gefeuert!“, sagte Miss Mitch ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich bin was? !“, rief ich entgeistert. Unglaublich, gerade mal zwei Wochen lang hatte ich diesen Job gehabt. Zwei verdammte Wochen. Dabei hatte ich mich so bemüht, genau diesen Job zu bekommen. „Chic Style“ war die Designfirma schlechthin in London. Schon als Kind, war ich mit großen Augen, an der Hand meiner Mutter vor dem imposanten Firmensitz mit gläserner Fassade vorbeigegangen und hatte mir ausgemalt, wie es wohl sein würde dort zu arbeiten. Nun, 15 Jahre später hatte ich es geschafft meinen Lebenstraum innerhalb von zwei Wochen zu zerstören. Alles bloß, weil ich in diesen verfluchten Stau gekommen war. Ich fahre eigentlich nie Auto, was auch sinnvoll ist, da die Straßen Londons so gut wie immer verstopft sind. Doch ausgerechnet heute hatte ich meinen Zug verpasst, weshalb ich gezwungenermaßen doch in meine alte Rostlaube steigen musste und dann genau wie befürchtet mitten auf der Westminster Bridge zum Stehen gekommen war. Inmitten hupender und schimpfender PWK-Lenker. Jetzt war ich doch nur 15 Minuten zu spät. „Sie können mich doch nicht einfach wegen dieser kleinen Unpässlichkeit feuern! Ich bin sonst nie zu spät und ich verspreche es wird nie wieder vorkommen!“, versuchte ich verzweifelt die Situation zu retten. „Tja Sie sind noch in der Probezeit, außerdem finden wir sicher schnell Ersatz für Sie. Wir sind in dieser schnelllebigen Zeit nicht auf Sie angewiesen. Vor zwei Wochen saß auch noch ein anderer an Ihrem Schreibtisch und nun werden auch Sie ausgetauscht. Wir legen hier viel Wert auf Pünktlichkeit. Die Modewelt wartet auch nicht auf Ihre mickrigen Entwürfe. Denken Sie es sich so, bereits im Sommer planen wir die Wintermode und im Herbst bereits die Frühlingsmode, und Sie sind ab sofort die ausrangierte Kollektion der letzten Jahreszeit. Sie dürfen jetzt gehen.“, antwortete meine Chefin mit kühlem Ton. „Aber“, stammelte ich. „Kein Aber. Sie sind hier überflüssig.“ Und so saß ich knappe zehn Minuten später wieder in meinem Auto und ließ verzweifelt die Stirn gegen das Lenkrad sinken. So hatte ich mir den Tag nicht vorgestellt.
Bereits wenig später fuhr ich über die Schnellstraße außerhalb der Stadt in Richtung zu Hause. Irgendwann hatte ich angefangen zu weinen. Einfach alles war vorbei. Ich hatte meine einzige Chance verloren. Mit fahriger Handbewegung wischte ich mir eine Träne von der Wange. Ich musste irgendetwas tun, irgendetwas. Mein großer Traum hatte sich in Luft aufgelöst. Wie sollte ich sonst dieses Gefühl des Versagens, der Nutzlosigkeit ertragen? Die Straße schlängelte sich neben Feldern vorbei. Ich drückte das Gaspedal durch. Schneller und immer schneller schoss ich hinweg. Doch egal wie viele Kilometer ich zwischen mich und meinen verlorenen Traum brachte, es tat nicht weniger weh. 129, 130, 140, 150. Schneller. Immer schneller. Vergessen. Zeit zurückdrehen. Zeit. Tick. Tick. Boom.
Das letzte, was ich sah, war das Auto, das direkt auf mich zukam.
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