tot ≠ tot
Ich sehe Feuer, höre die Schreie meiner Frau, unserer Kinder und meine eigenen. Zu spät, um meine Liebsten vor den heißen Flammen zu retten, stattdessen operiere ich still und konzentriert einen Hund.
Wie jede Nacht wache ich schweißgebadet auf und versuche vergeblich, genug Sauerstoff für meine Lungen aus der abgestandenen Luft in meiner Hütte zu ziehen.
Zitternd stehe ich auf und trete mit herabhängenden Schultern aus meiner Hütte.
Kurz nach dem Brand sah ich eine verletzte Katze am Straßenrand liegen, wobei mir meine Schuldgefühle den Atem raubten, so wendete ich mich ab. Seitdem lebe ich vollkommen alleine, arbeitslos in einer Hütte im Wald.
Ein schmerzerfülltes Jaulen durchbricht den Schleier der Erinnerung in meinem Kopf.
Verwirrt folge ich dem Jaulen.
Als ich den Verursacher des Jaulens sehe, erbleiche ich augenblicklich.
Eine trächtige Wölfin, bemerkt mein geschultes Auge, liegt wimmernd am Boden, während ihr linkes Hinterbein in einer Jagdfalle gefangen ist. Das Blut, das aus der Wunde tritt, färbt ihr ansonsten aschgraues Fell am Bein rot.
Ohne auch nur einmal nachzudenken gehe ich eilig auf sie zu, setze mich neben ihre Schnauze und lege ihr beruhigend meine Hand auf den Kopf. Ihr weiches Fell fühlt sich wie Seide auf meiner rauen Hand an. Heißer Atem erwärmt stoßweise meinen Unterarm. Plötzlich spüre ich statt heißer Luft die heiße und raue Zunge der Wölfin.
Nach ein paar Sekunden entsinne ich mich wieder, warum sie überhaupt daliegt. Einmal kraule ich sie noch hinter den samtigen Ohren. Als ich mich gerade erheben will, legt sie ihre schwere Pfote auf meine Oberschenkel. Überrascht schiebe ich sie behutsam von meinem Schoß, bevor ich mich ihrem Bein zuwende.
Erst beim Aufbrechen der Falle kriecht das eisige Entsetzen darüber, dass ich Hals über Kopf einem gefährlich geltenden Tier zur Hilfe geeilt bin, mein Rückgrat hoch.
Die Wölfin heult schmerzerfüllt, wobei mir Tränen in die Augen treten und meine Gedanken drehen sich nur noch um sie.
Gehetzt ziehe ich mir mein Shirt aus und verbinde damit die blutende Wunde. Sanft hebe ich sie auf meine Arme, wo sie schlaff liegt und renne los.
Während des Wegs denke ich an all die Bauern, die sich beschweren, weil in Österreichs Wäldern wieder Wölfe leben, und weiß instinktiv, dass einer dieser Bauern die Falle aufstellte, um einen ihm verhassten Wolf zu töten. Heiße Wut flammt in mir auf.
In der Hütte angekommen lege ich die Wölfin auf den Tisch.
Meine Hände wissen, was sie tun müssen.
Als ich endlich fertig bin, hebe ich sie erschöpft hoch und trage sie in mein Bett. Gleich darauf rufe ich die Polizei an, berichte ihr über die Falle.
Müde gehe ich ins Schlafzimmer und lege mich ohne viel darüber nachzudenken zu meiner Wölfin und schlafe sofort geborgen ein.
Als ich aufwache, schaue ich in tiefe, blaue Augen. Sie hatte ihren Kopf auf meinen Bauch gelegt. In ihnen liegt das Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft.
Zum ersten Mal seit Jahren freue ich mich auf sie.
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