Traumfängervon Marlene Lehdorfer
Er studiert dich, bewundert dich und dann fängt er dich. Also flieg, solange du noch kannst. Am besten weit weg, wenn du am Leben bleiben möchtest. Und wenn du weg bist, dann denke daran, einer kommt nie unbeschadet davon.
Trostlos glänzt das letzte Abendlicht durch die Fenster und übermalt die an der Wand hängenden Bilder mit einem goldenen Schleier. Dort steht er. Er, den alle Traumfänger nennen, doch das, was er jagt, ähnelt wohl kaum einem Traum, und wenn doch, dann hat dieser Flügel und fliegt ihm direkt ins Netz. So unschuldig, so bunt, so zart, und jetzt bist du sein, ein Gefangener unter tausenden. Er greift ins Netz und holt dich heraus, du kleiner zappelnder Traum. Wie ein ausgebranntes Feuer erlischt des Traumfängers Traum. Im Atmen des Mannes hört man ein Lachen, ein Hochgefühl des Sieges.
"Jetzt kannst du nicht mehr fliegen. "
Triumphierend hält er die ausgerupften Flügel in der Hand und ohne viel darüber nachzudenken, nimmt er den Körper zwischen die Finger und reißt alle sechs Beine nacheinander aus.
"Und jetzt. Jetzt kannst du nicht mehr laufen. "
Zwei abgebrochene Fühler weiter, die dem Tier Geruch und Spürsinn nehmen, greift er zur Pinzette und pickt vorsichtig die Augen heraus. Zurück bleiben leere marionettenhafte Höhlen.
"Sehen kannst du jetzt auch nichts mehr. ", stellt er, der Traumfänger mit erfreuter Miene fest, und nachdem er ihn von allen Seiten gemustert hat, zerquetscht er den entstellten Körper zwischen Daumen und Zeigefinger.
"Und jetzt, du kleiner Schmetterling, jetzt kannst du gar nichts mehr. "
Säuberlich legt er alle Teile des Falters auf ein Holzbrett, bohrt Nadeln hindurch, bis sie darin verankert sind, und befestigt ein Schutzglas darüber. Ein so wundervolles Tier darf auf keinen Fall kaputt gehen. Er hängt den zerrissenen Schmetterling an die Wand, zwischen, über und unter anderen verunstalteten Artgenossen.
"Ich weiß. Wenn ihr könntet, dann würdet ihr gehn. Aber ihr könnt nicht. "
Der letzte Sonnenstrahl fällt, von den Wolken über den Himmel durch das Fenster direkt auf die Wand. Verfängt sich in dem Glas der Vitrinen, und für einen Moment wirkt es so, als würden die Tiere zum Leben erweckt werden und hinter den Scheiben mit ihren abgerissenen Flügeln zu flattern beginnen, um ihrem Schicksal zu entkommen, welches sie jedoch schon lange mit eisernen Nägel an die Holzrahmen fesselt. Es wird dunkel, das Licht wird von der Wand zurück durch das Fenster über den Himmel bis in die Wolken gezogen und verschwindet in der Nacht. Und dann sind es doch wieder nur Tiere. Starr und unbeweglich. Ihr könnt ihnen nicht mehr helfen. Sie sind doch schon längst tot. Die Finsternis legt sich wie ein schwerer Mantel um die Schultern des Traumfängers. Er steht vor den Vitrinen und murmelt ein leises Gedicht.
"Zwischen Blumen und Himmel
Dort lässt du dein Wunder
In Farben so grell
Dort ich dich bewunder
Ich will nicht nur sehen
Dich einmal allein
Dein Traum rasch wird gehen
Drum fang ich dich ein
Ich nehm dir dein Können
Reiß aus dein Begehren
Doch Blut wird keins strömen
Du kannst dich nicht wehren
Jeder kennt dich, du schönes Getier
Doch begehrt dich der Falsche
Bist nicht mehr lang hier"
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