Tropfenvon Hiba Akyol
1.
Es regnet. Du stehst einfach nur da am Fenster und schaust raus. Das machst du öfter, vor allem, wenn es regnet. Wieso, weiß ich nicht. Ich weiß vieles nicht, aber du bist ja da. Langsam gehe ich auf dich zu und mit jedem Schritt, den ich näher komme, drehst du dich mehr zum Fenster. Spielst mit der Kette um deinen Hals und auch meine Hand tastet meinen Hals nach etwas ab, woran ich mich festhalten kann. In der Stille um uns herum vernehme ich unser Lied.
2.
Die Regentropfen perlen ab, an der Scheibe. Du verfolgst einen besonders kleinen und zeigst darauf. Sagst mir, dass wir ihn verfolgen werden. Dass das wichtig ist.
Die Scheibe ist kühl, als wir unsere Finger auf sie legen. Als wir den Weg des Tropfen nachfahren, mal langsamer, mal schneller. Doch der Tropfen rutscht in die Bahn eines anderen und wir verlieren ihn. Unsere Finger kommen unschlüssig an der Scheibe zum Stehen, meine den deinen so nah.
Du wendest dich ab, mir zu und diesmal sehe ich den Tropfen auf deinen Wangen zu. Strecke meine Finger aus, um ihre Spuren nachzufahren, aber du schreckst zurück und sagst, dass ich nicht verstehen würde. Dass der Tropfen versagt hätte, dass alle versagen werden.
Ich drehe mich zurück zur Scheibe und will nochmal ansetzen, einem anderen Tropfen folgen, hoffe, dass du zurückkommst, aber das tust du nicht, das tust du nie.
Und trotzdem warte ich.
Ich warte, bis der letzte kleine Regentropfen in der Spur eines anderen aufgeht. Verschluckt wird. Jetzt verstehe ich, was du meintest.
3.
Es ist spät, als ich dich wiederfinde.
Du sitzt einfach nur da und starrst an die Wand, das Fenster in deinem Rücken. Das Licht des Halbmondes scheint wie ein Scheinwerfer herein, wirft deinen Schatten zu Boden. Ich setzte mich neben dich und schaue auch an die Wand, versuche zu finden, was du siehst. Mir laufen Tränen aus den Augenwinkeln, so sehr starre ich und spüre nicht, dass du dich zu mir drehst. Erst als du deinen kleinen Mund öffnest und mich aus meiner Starre schreckst, bemerke ich es.
Du musst aufhören, sagt du. Hörst du? Ich nicke, eifrig. Hauptsache, du redest weiter. Meine Augen kleben an deinen Lippen, meine deine Worte lautlos mit formend. Fasziniert. Du beißt dir auf deine Unterlippe und ich tue es dir gleich, spüre etwas Warmes an meinem Kinn herunterlaufen. Doch es ist mir egal, ich will dir zeigen, dass ich schnell lerne, dass ich gut bin. Deine Stimme wird nun lauter, als du weitersprichst, du tobst und schreist und fuchtelst herum. Ich mache es dir nach, möchte beweisen, was ich kann.
Du verstehst es immer noch nicht, flüsterst du jetzt, tränenerstickt, und auch ich weine, weil du weinst.
Nein, sage ich, ich verstehe, ich habe gesehen, wie jeder Tropfen versagt hat. Und schau, ich weine.
Deine Tränen versiegen jetzt und du wischst dir ihre Spuren von den Wangen, mit geschlossenen Augen. Will es dir gleichtun, aber ich kann nicht.
Ich muss dich doch sehen, um zu leben. Also flehe ich dich an, die Augen zu öffnen. Aber du weigerst dich, weigerst dich noch immer.
Und obwohl wir beide hier sind, spüre ich, dass du mir verloren gehst, wie die kleinen Regentropfen an den Scheiben.
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