Träume
Neben ihr rasen schnelle, winzige Lichtpünktchen vorbei. Kurz hell, dann dunkel. Hell, dann dunkel. Doch die kurzen Blitze bemerkt sie nicht. Denn sie will weg, nur weg. Voller Wehmut drückt ihr rechter Fuß fester auf das Gaspedal und die Zahl steigt immer höher. Warum? Es war doch alles perfekt gewesen. Die endlosen Stunden, die sie zusammen gelacht haben und jetzt keinen Wert mehr haben, all die Streiche, die sie sich immer gegenseitig gespielt haben. Alles für nichts.
Halb im Rausch nimmt sie plötzlich den immer lauter werdenden Motor wahr und lässt ihn mit fließenden Bewegungen verstummen. Kupplung, Schaltung, Gas. Wie ein Roboter führt ihr Körper die Bewegungen aus. Eine Bewegung, die sie von ihr gelernt hat und die sie jetzt von ihr entkommen lässt. Ach, sind das schöne Zeiten gewesen. Damals als sie ihr ihr am Telefon erzählt hat, dass sie wieder durchgerasselt ist und sie sich über die Leute dort lustig gemacht hat, wie geldgeil die Fahrlehrer doch wären. Über ihre fehlende Kompetenz, ihr das Fahren beizubringen und ihren Geiz ihr zu sagen, sie sei bereit für die Prüfung. Am nächsten Tag hat sie ihr alles noch einmal gezeigt. Vom Anfang bis zum Ende. Von oben, bis unten. Hinten und vorne. Danach haben sie stundenlang über ihre Träume gequatscht und schon damals hat sie ihr lachend ins Gesicht gelogen.
Auf einmal taucht vor ihr ein verschwommenes, rotes Etwas auf. Verwirrt blinzelt sie und spürt, wie eine Wasserperle über ihre Wange zum Boden läuft. Sie konnte doch nicht ernsthaft wegen so einer Kleinigkeit weinen! Melancholisch sieht sie einen Film der Vergangenheit in ihr laufen. Einmal, als sie kurz vor dem Verzweifeln gewesen ist, hat sie sie aufgemuntert, hat ihr versprochen, ihr zu helfen. Bei allem. Doch selbst dieser Schwur ist auch nur Luft gewesen. Ihre Kehle stößt ein kratziges Halblachen aus. Warum? Ihr Fuß zerdrückte das Pedal und das laute Brummen betäubt ihre Ohren. Links und rechts zwingt sie den Wagen nach ihrem Willen zu fahren und lässt das andere Auto hinter ihr. Zwölf Jahre. ZWÖLF JAHRE. Aus ihren Augen strömt jetzt ein ganzer Wasserfall. So lange hat sie es gewusst, dass sie es nie schaffen wird.
Plötzlich durchbricht ein lautes Geräusch ihre Gedankten und ihre Augen nehmen zwei weiße Punkte auf sie zukommen wahr. Überrumpelt packt die Realität sie und sie reißt das Lenkrad auf die Seite, während ihre Füße unkontrolliert herumstoßen, um irgendwie zu helfen. Zu langsam. Mit einem betäubenden Knall prallt sie nach vorne, während sich ihr Gurt in ihrem Bauch schnürt, ihr die Luft nimmt und mit einem Schlag ihre Sinne in einem tiefen Schlaf ohne Träume schickt.
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