Tu es - jetzt
Donnerstag, letzte Unterrichtseinheit, Projektarbeit. In der 5C geht es zu wie in einem Bienenstock - jeder Schüler bereitet Präsentationen seiner Interessen vor. Alles wuselt, jeder versucht das Beste aus sich herauszuholen.
Jeder? Nein, denn da bin auch ich ich. Ein Mädchen, allein auf einem Pult am Fenster, die Körperhaltung fast starr, der Gesichtsausdruck reglos, der Blick in die Ferne gerichtet. So jedenfalls sehen mich die von außen.
Denn auch, wenn man es mir nicht ansah, war in meinem Kopf alles bunt, wild und laut. Ich stellte mir Szenen vor, lies mir Geschichten einfallen. Obwohl, Geschichten konnte man die Bilder in meinem Kopf wohl kaum nennen. Sie waren viel eher Zukunftsvisionen, in denen ich darüber fantasierte, was ich alles in meinem Leben schaffen könnte. Mein Kopf zeigte mir diese Szenen von selbst und ich schaute sie mir an, als wäre ich im Kino. In meinen Träumen flog ich zum Mars, heilte Krebs und rannte einen Marathon in zwei Stunden. Mal war ich eine berühmte Schauspielerin, mal Stürmerin bei Barca.
Doch während ich träumte, was ich alles erreichen konnte – arbeiteten meine Mitschüler wirklich an der Version ihrer selbst. Sie taten etwas für ihre Zukunft, während ich nur davon träumte. Warum aber auch arbeiten, wenn man sich seine Zukunft sowieso erträumen konnte. Brauchte man die Realität dann überhaupt noch?
Meine Gedanken drehten sich immer schneller. Ich sah mich als Tierärztin und als Umweltschützerin, als Oscargewinnerin, als Mutter. Leute applaudierten mir, sie liebten mich. Kinder fragten nach Autogrammen, Menschen wollten Fotos mit mir machen, jeder meiner Schritte wurde von der Presse verfolgt. Ich war ihr Star. Ich war perfekt.
Plötzlich unterbrach eine meiner Klassenkameradinnen meine Gedanken. Sie war gerade dabei berühmte Zitate für ihr Präsentation herauszusuchen. Ich versuchte, mich wieder auf meine Geschichten zu konzentrieren, doch ich konnte einen ihrer Zitate nicht aus meinem Kopf bekommen. „Das Einzige, das dich von deinem Traumleben abhält, ist dein Kopf“.
Traf das nicht genau auf mich zu? Nie hatte ich im Augenblick gelebt, ich hatte immer nur von meiner Zukunft geträumt und nie meine Gegenwart genossen und meine Zeit genutzt. Mein Kopf hatte mich immer nur träumen lassen, aber was war wenn ich diese Träume wirklich lebte? Konnte ich nicht alles erreichen, wenn ich nicht nur träumte, sondern meine Träume auch umsetzte? Ich schwor mir, ab jetzt nur noch im Augenblick zu leben und meine Zukunft zwar zu planen aber nicht darin zu versinken.
Seitdem versuche ich das Beste aus jedem Augenblick zu machen und mich für meine Zukunft einzusetzen. Meinen inneren Schweinehund habe ich überwunden und arbeite an mir selber.
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