Uhrzeigersinn?
Biegt man nach links, bei der alten Kirchgasse
Gibt es einen Laden, dort am Ende der Straße
Er ist klein und von der Zeit gezeichnet
Ein dämmriges Licht die Fenster erleuchtet
Und kommt man etwas näher heran
Man von innen Geräusche hören kann.
Hinter der Tür hört man es leise ticken
Vielleicht auch klappern, schnarren oder klicken
Tritt man ein, ist klar, was man hier findet
Jede Wand hinter einer Vielzahl an Uhren verschwindet
Manche sind groß, klein, schön oder laut
Manche so alt, dass man sie gar nicht mehr baut.
Hinter dem Kassentisch steht ein alter Mann
Der Uhrmacher, den man nicht stören kann
Der den ganzen Tag arbeitet an seinen Werken
Er scheint die Welt da draußen nicht zu bemerken
Er verliert sich ganz in der Uhrmacherei
Ja, da ist er mit Herz und Seele dabei.
Eines Tages klingelt die Ladentür
Und es einen jungen Mann in das Uhrenwerk führt
Er scheint nervös, blickt gehetzt hin und her
Als hätte er wahrhaft keine Zeit mehr
Er tritt zum Ladentisch heran
Und legt darauf ab seine Armbanduhr dann
„Guten Tag junger Mann, was führt dich in mein Haus
Ist die Batterie deiner Uhr etwa aus?“,
Fragt der gute Uhrenmeister
Doch der sein Gegenüber antwortet heiser:
„Meine Uhr, die geht mir viel zu schnell
Die Zeit vergeht schneller, als dass ich es will!“
Der Uhrmacher findet das recht wunderlich
„Junger Herr, ich glaube, da irrst du dich!
Diese Uhr habe ich selbst gebaut
Sie zeigt die Zeit an, wenn man darauf schaut
Und das Uhrwerk funktioniert auch perfekt
Guter Mann, da liegst du nicht korrekt.“
„Funktionieren tut sie“, sagt der junge Knabe
„Doch leider nur schneller, als ich es gernhabe
Denn jedes Mal, wenn ich darauf zu blicken scheine
Habe ich plötzlich Zeit mehr keine
Als würde jeder schnelle Blick
Mir nehmen den Moment des kurzen Glück.“
Der Uhrmacher zwirbelt erstaunt den Bart
Das ist das erste Mal, dass er das hört
„Du willst sagen, die Uhr nimmt dir den Augenblick
Weil die Zeit vergeht und du kriegst ihn nicht mehr zurück?“
Der junge Mann nickt bei diesem Wort
„Die Zeit nimmt den Augenblick mit sich fort!“
Der Uhrmacher schweigt, was soll er jetzt machen?
Er kann doch nicht zaubern, nur Uhrmachersachen
Dann kommt ihm plötzlich eine Idee
Wie das mit dem Zeit anhalten doch noch geht
Mit einem Schrauber entfernt er ganz keck
Aus dem Uhrwerk das wichtigste Zahnrad weg.
Der junge Mann scheint ganz empört
„Jetzt haben Sie mir meine Uhr zerstört!“
„Halte ein“, sagt der Uhrmacher nur
„Jetzt geht der Zeiger nicht weiter vor
Und wenn der Zeiger nicht kann nach vorne gehen
Kannst du auch die Uhrzeit nicht mehr sehen.“
Der junge Herr weitet die Augen dann
„Das ist die Idee, werter Uhrenmann!
Wenn ich nicht sehe, wie lange Augenblicke dauern
Kann ich nicht ihrem Ende nachtrauern!“
Er nimmt seine Uhr und geht von dannen
Und ist nie wieder zurückgekommen.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX