Unausgesprochenes
Es geht mir gut. Das war also mein erster Gedanke. Nach monatelangen Therapien und zahlreichen Arztbesuchen gehe ich nach Hause. Zuhause. Doch ist das noch mein Zuhause? Der Regen prasselt gegen die Autoscheibe und ich beobachte die Tropfen, wie sie an der Scheibe herunterfließen. Feuchte Luft, ein leises Rauschen, ein Autoreifen auf nasser Fahrbahn. Die Blätter hängen welk von den Bäumen. In der Ferne des Nichts erkennt man langsam ein Haus durch den Nebelschleier. Das ist es. Unser Haus- mein Zuhause- das war es zumindest mal. Doch wird es je wieder SO sein? Wie ein Geist steige ich aus unserem alten Golf, ich nehme alles wahr, jedes kleinste Detail- außer mich selbst. Die feuchte, kalte Luft, die meine Haut so zärtlich ummantelt. Meinen Herzschlag, der mich erinnert, dass ich doch noch hier bin. Das Gefühl, wenn sich die Lunge stetig mit kalter Luft füllt. Der Schlüssel dreht sich im Schloss, eine Tür öffnet sich und ich gehe zaghaft die Stufen hinauf. Das Knarzen der dritten Stufe finde ich noch immer wunderschön, irgendwie schräg, aber auf eine beruhigende Weise.
Ich drehe mich noch einmal um. Rundherum nur der Wald. Doch ein Auto bricht die Stille, mein Herz bleibt stehen. Alles ist wie damals, an dem einen Tag. Der Tag, an dem sich alles änderte. Ein roter Jeep, eine scharfe Kurve, die Fahrbahn nass und rutschig. Da ist es plötzlich wieder- dieses Gefühl. Eine Gänsehaut durchfährt jede Zelle meines Körpers, jeder Muskel beginnt sich anzuspannen, mein Puls rast, die kalte Luft dringt immer häufiger in meine Lunge, die Augen weiten sich, doch ich stehe immer noch da - wie angewurzelt. Es ist unmöglich, aus meiner Starre auszubrechen. Langsam spüre ich, wie eine Träne meine eiskalte Wange herunterfließt. Sie tropft auf mein bordeauxrotes Shirt und hinterlässt dort einen Fleck. Gleich wie jene Narbe, die dieser eine Tag in mir hinterließ.
Stille. Nur das Zirpen der Grillen. Es ist warm, weich. Als ich meine Augen öffne, kann ich es nicht glauben, ein Krankenbett. Ich öffne meine Augen, doch trotzdem sehe ich nur vage Umrisse. Das Ticken einer Uhr. Diese angenehme Stille wird ersetzt durch die nervtötenden Geräusche der Geräte, an die ich angeschlossen bin. Ich erkenne eine Person, die rechts neben meinem Bett sitzt und leise schluchzt, sie kommt mir bekannt vor. Und da realisiere ich es: Mama. Endlich. Endlich sehe ich sie wieder. Ihre Anwesenheit gibt einem so ein warmes Gefühl von Sicherheit. Ich fühle, wie erneut eine Träne meine Augen verlässt. Doch diesmal keine Träne, die zeigt wie sehr mich dieser eine Tag gebrochen hat. Eine Träne, vor Freude, tiefster Liebe und Zuneigung. Und erneut verschwindet die Welt in Dunkelheit.
Eine Frau in schwarzem Kleid tritt hervor: „Ihr Körper hätte die Wunden vielleicht überstanden, aber für ihre zarte Seele war dieser Tag unüberwindbar. Und so beinhaltet jede Zukunft ihren eigenen Zauber. Für Bojana war es die Erlösung der Qual, um zwei geliebte Menschen zu trauern.
Nun ist sie erlöst- Es geht ihr gut.“
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