"Unrecht tut selten gut"
Lausanne-18 Uhr: Jedes der sechs Bandenmitglieder war pünktlich eingetroffen. Ich wartete, bis jeder sein Inventar auf Vollständigkeit überprüft hatte und sich an den runden Tisch setzte. Beim Eingang wurden provisorisch alle Handys eingesammelt.
„Jungs, das ist unsere letzte Aufgabe, bevor wir von der Bildfläche verschwinden. Wir müssen nur den verdammten Geldtransporter, dessen Fahrer einer unserer Brüder ist, stoppen und entladen. Allerdings müssen wir ihn auf der Stelle beiseiteschaffen - wenn nicht, wird er uns ziemlich sicher für eine x-beliebige Summe und eine Identität im Zeugenschutzprogramm verpfeifen. Nenad; Dan und Mago, ihr nehmt den Van. Ihr seid für die Entladung zuständig, während ich, Konsti und Max den SUV nehmen und euch den Rücken freihalten.“
Ich spürte eine gewisse Anspannung trotz der ganzen Rauschmittel, die wir konsumiert hatten. Vielleicht hatte die Anspannung mit unserer Vorgehensweise zu tun. Immerhin arbeiteten wir immer nach demselben Schema.
„Chef, wir sind gleich da“, warnte mich Konsti. „Mago, zeig, was du kannst“, rief ich in das Funkgerät. Beinahe synchron setzten wir unsere Masken auf und entsicherten die illegal gekauften Maschinengewehre. Ehe ich ausgesprochen hatte, blinkten die Bremslichter des schwarzen Geldtransporters. „Raus, Raus, Raus“, befahl ich. Konsti und Max scannten die Umgebung, während ich den Fahrer aus dem Wagen zerrte. Warte mal, wo war der Beifahrer? Und wer war das verdammt noch mal? Wo war Jones, der die heutige Schicht antreten sollte? „Wo sind die Sche*ß Schlüssel?“, brüllte ich ihn an.
Er leistete nicht mal ansatzweise Widerstand. Einerseits konnte ihm das versicherte Geld egal sein, wenn man seinen Netto-Lohn betrachtete. Andererseits würde er sowieso sterben. Ich nahm die Schlüssel sowie die Überprüfungskarte ab und überreichte sie Nenad.
Als ich die mit Schalldämpfern ausgerüstete Pistole aus meiner Cargo-Hose zückte, begann der Fahrer höhnisch zu lachen. „Ich hoffe, du weißt, dass du heute nicht bei lebendigem Leib davonkommst!“, sagte er. „Solltest du nicht dein Abschiedsgebet rezitieren? Du bist ziemlich mutig für einen (fast) toten Mann, nicht wahr?“, antwortete ich zurück und rammte ihm die Pistolen gegen seine Nase. Doch ich fühlte einen Knoten im Magen, als ich die Sirenen näherkommen hörte. „Vergiss nicht die Taschen zu kontrollieren“, gab der Fahrer selbstbewusst von sich. Was hatte er vor? Versuchte er mich unsicher zu machen, oder hatten all die kleinen Missgeschicke doch etwas zu bedeuten. „Chef, wir müssen jetzt los. Beeil dich“, unterbrach Nenad meine Gedanken.
Ich verpasste ihm eine Kugel und rannte zum SUV, eher wir mit quietschenden Reifen davonsausten. Die Erleichterung war jedem Einzelnen anzumerken - außer mir. Ich öffnete eine der Taschen und griff hinein, doch darin befanden sich nicht die erhofften grünen Banknoten. Stattdessen fischte ich einen Zettel mit „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“.
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