Unsere Schuld
Meine Mama hat mir gesagt, ich muss meine rosa Ballerinas Zuhause lassen. Sie hat gemeint, sie seien unpraktisch, wenn wir wegmüssen. Und schließlich habe ich sie auch nicht mitgenommen, habe die ausgelatschten Sportschuhe, die ich schon mit zwölf getragen hatte, angezogen.
Wir haben weggemusst, weil die Flieger über Nacht die halbe Stadt ausgebombt haben. Es war nicht viel Zeit gewesen, doch noch länger zu bleiben wäre glatter Selbstmord gewesen. Mit dem Auto konnten wir nicht fort, die Straßen waren mit Geröll und Auto-Wracks verbarrikadiert, sodass man über sie hat klettern müssen. Auch die Nachbarn sind schon längst fort. Unser Wohnviertel ist nichts als eine Geisterstadt.
Ich weiß nicht, wohin meine Mama will, doch ich vermisse meine Ballerinas. Sie waren ein Geschenk von meinem Papa. „Kein Platz im Rucksack“, waren ihre Worte. Meine Füße hören nicht auf wehzutun. Wir gehen schon den ganzen Tag. So wie gestern. Und den Tag davor. So wie alle anderen auch, in der Hoffnung, an einen Ort zu kommen, der weniger an das erinnert, was wir alle verloren haben.
Niemand hatte es kommen sehen. Keiner meiner Freunde wäre auf die Idee gekommen, nicht jeden Tag im Klassenraum zu sitzen und die Minuten zu zählen, gelangweilt von den Worten des Lehrers. Ich wünschte, ich könnte mich wieder langweilen. Doch letztendlich ist es unsere Schuld, dass wir so blind waren für das, was wirklich in der Welt los war. Die Zeit, in der sich jeder noch der Illusion hingegeben hat, dass ein neutrales Land wie unseres sich doch niemals in einen Konflikt verwickeln würde, der solch katastrophale Ausmaße annimmt, war vorbei. Doch es ergeht nicht nur uns so, sämtliche Städte waren zerstört. Wir waren im Begriff die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen.
Langsam wird mir bewusst, dass es unsere Schuld war. Die Schuld von uns allen. Den Menschen. Wenn man mich fragt, wie es mir geht, weiß ich nicht, was ich antworten soll. Wie soll es mir denn gehen, an der Schwelle des Ungewissen?
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