velleity
Das Flimmern der Glühbirne über dem Tisch lässt Schatten über dein Gesicht huschen, während sich in deinen Brillengläsern der Bildschirm deines Handys spiegelt. Deine Augen sind fixiert auf das, was du siehst; meine sind das ebenso, doch ich widme mich nicht dem Anblick von etwas Digitalem, sondern betrachte dich.
Sekundenlang, minutenlang, es ist bereits eine halbe Stunde vergangen, aber unsere Blicke haben sich nicht einmal gekreuzt, seit ich dir gegenüber Platz genommen habe. Vielleicht hast du gar nicht bemerkt, dass ich mich zu dir gesetzt habe; vielleicht ignorierst du meine Anwesenheit absichtlich und ich bin einfach zu stur, um den Hinweis darauf aus der Stille zwischen uns herauszulesen.
Es ist immer schwer, mich in dich hinein zu versetzen, denn du scheinst gar nicht von mir zu verlangen, dass ich dich verstehe. Du möchtest nicht gestört werden und dir entgeht, wie sehr ich ohnehin zögere, dich anzusprechen. In meinem Inneren brodelt es, als würde das Gedankenkarussell in meinem Kopf überkochen; das Schweigen in der Atmosphäre zwischen uns erdrückt mich mit jedem weiteren Moment, der wortlos verstreicht.
Hörst du mir zu, wenn ich die Stimme erhebe?
Die Frage bleibt unausgesprochen und doch hoffe ich aus irgendeinem Grund, dass du sie trotzdem hören kannst. Wenn du deine Augen nur kurz von dem Bildschirm lösen würdest, könntest du die Worte sicherlich an meinem Gesichtsausdruck ablesen.
Aber du tust mir den Gefallen nicht.
Die Schatten werden länger und mit ihnen werde ich nervöser; mir fehlt es an Überzeugung, um das Wort an dich zu richten, obgleich das genau der Punkt ist, der mich unruhig werden lässt.
Warum fällt mir nichts ein?
Nicht nur die schummrige Beleuchtung lässt mich so fühlen, als würde sich alles drehen; mein Inneres ist in Bewegung, um mir die Fähigkeit zu verleihen, eine Konversation zu starten. Dennoch bleibt mein Konflikt dir verborgen, nicht einmal blickst du zu mir; ich weiß nicht, ob du mich nicht wahrnehmen kannst oder es nicht willst.
Staubtrocken fühlt sich mein Mund an, sobald ich ihn öffne, weshalb ich nur hilflos die Lippen wieder aufeinander presse. Die anhaltende Stille lässt mir keine Hoffnung darauf, dass es mir gelingen wird, auch nur einen Laut von mir zu geben.
Vielleicht verschwinde ich, wenn du mich lange genug nicht beachtest.
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass dieser Gedanke hochkommt; er verdrängt alles andere und will mich zum Nachdenken bringen, mit jeder Situation, die der momentanen gleicht. Es hilft nichts, sich dagegen zu wehren.
Ich will nicht verschwinden.
Trotz meiner gedanklichen Feststellung schaffe ich es nicht, meinen schweren Körper auch nur einen Millimeter zu bewegen; ich kann dich nicht ansprechen und noch weniger berühren. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu verharren, zu warten, bis du mich bemerkst und anerkennst, dass ich existiere.
…Und wenn du aufstehst und das Licht löschst, sitze ich immer noch bewegungslos und mutlos am Tisch.
…Wie ein Geist.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX