Verdammte Gedanken
„Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerten zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste.
Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, dass jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich, dachte er.“ [Impuls aus: Wolfgang Borchert „Nachts schlafen die Ratten doch“] Ein Kind weinte.
Er konnte ihre Unruhe spüren, wie sich windende Schlangen, die Beute wittern, diese verdammte Unruhe, sie war greifbar und er streckte die Hand aus, die Augen noch immer geschlossen, um die Schlangen zu packen und sie, verdammt nochmal, zur Ruhe zu zwingen. Denn ja, alles was er wollte war Ruhe. Stillstand. Beständigkeit. Schweigen. Ein Kind weinte.
Sie schwiegen. Er schwieg, die Augen fest zugekniffen. Und obwohl es leise war, die Stille tanzte gerade wie wild um sie herum, dröhnte es in seinen Ohren. Ein Kind weinte.
Zitternd atmete er aus. Zu laut, zu laut, zu laut. Die Stille tanzte weiter durch die Gassen, immer befreiter, immer wilder und das Weinen des Kindes vermischte sich mit dem aufgeregten Schnattern der Gänse, die sich fast so anhörten wie die alten Frauen zur Mittagszeit am Markt.
Und auch wenn er sich inzwischen die Hände fest auf die Ohren drückte, so hörte er doch das Heulen des Abendrots, das Heulen des blutrot sterbenden Tages. Ein Kind weinte.
„Und verdammt“, dachte er, „sie sind immer noch hier, aber weiter, weiter konzentrieren, nur nicht aufsehen, nur nicht bewegen“. Aber zu spät, sich hin und her windend, mit Tränen auf den Wangen, die unter den geschlossenen Lidern hervorquollen, denn Stille verdammt, Ruhe, war doch alles was er wollte, vernahm er den lauten Orkan der Zikaden und Grillen, die um die Wette brüllten mit dem Kind. Ein Kind weinte. Ein Kind brüllte.
Und verdammt, sie kamen näher, er spürte es, oh doch er spürt es. Nur noch eine Schlange von ihm entfernt standen sie. Und sie wanden sich näher, immer näher. Zischten.
Er riss die Augen auf. Und ein Kind schreit. Schreit. Schreit.
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