Vergessengehofft
Der laue Sommerabend mit ihm war angenehm. Wir aßen in einem ruhigen kleinen Beisel, in dem nur wenige Menschen saßen, und wir unterhielten uns derart angeregt, dass wir gar nicht merkten, wie viele Stunden vergangen waren. Er liess mich zu keiner Sekunde spüren, anders zu sein. Und das brauchte ich in einer Zeit nach der Autismus-Diagnostik, die unendlich schwer und härter, als ich es mir vorgestellt hatte, war. Nicht das erhoffte Gefühl der Selbstakzeptanz stellte sich ein. Stattdessen fühlte ich mich in mir eingesperrt. Es gab keinen Weg, mir selbst zu entkommen, und ich hielt an diesem fatalistischen Gedanken fest, und hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, mittels der Kunst mein Leben gedanklich durchzuarbeiten, würde ich wohl kaum noch am Leben sein. Mein Gegenüber holte mich mit seiner rauen Stimme in die Gegenwart zurück und erzählte mir, dass er studierte, Germanistik sagte er. Wir unterhielten uns, wie ich glaubte, dass sich Neurotypische zu unterhalten haben und er beugte sich über den Tisch, um meine Zigarette anzuzünden. Während ich ihm von meinem Künstlerleben erzählte, blies ich den Rauch zwischen meinen wunden Lippen hervor. Der Abend neigte sich dem Ende zu, und nachdem er zahlte, fragte er mich, ob wir das bald wiederholen würden. Unser Date. Unsicher verlor sich mein Blick in dem charmant wirkenden, blonden Mann in meinem Alter, nicht wissend, ob er sich nicht auf eine zynische Art über mich lustig machte, doch noch bevor meine Selbstzweifel die Oberhand gewinnen konnten, nickte ich geistesabwesend und rang mich irgendwie zu einem schnellen Ja durch. Ich war oft selber zynisch oder ironisch, merkte es aber nicht, wenn es jemand anderes ist. Und ich war meist auch die Letzte, die über einen Witz lachte, weil ich erst spät mitbekam, dass einer fiel.
Als er mich wenig später vor meiner Wohnung mit seinem Wagen absetzte und mir zum Abschied einen sanften Kuss auf die Wange hauchte, lächelte ich, da ich vermutlich glücklich sein sollte. Neue Situationen machten mir immer Angst und überforderten mich schon als Kind. Zwischenmenschliche Beziehungen mied ich schon damals, da ich kaum eine passende Emotion für die passende Reaktion aufsetzten konnte. Wie schaffen es Nichtautisten, mit neuen Erfahrungen, so umzugehen, als seien sie das leichteste der Welt?
Als ich nach Hause kam und mein Atelier betrat, um meinen Gefühlen Raum zu geben, fiel mir auf, dass ich abermals meine Nägel vor Aufregung in die Handflächen gegraben hatte. Jetzt nur nichts hineininterpretieren, sagte ich mir. Was bedeutete schon ein schöner Abend in meinem melodramatischen Leben?
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