Verloren in diesem Augenblick
Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blau-rot voll früher Abendsonne. Staubwölkchen flimmerten zwischen Schornsteinresten. Er hatte die Augen zu. Schritte tapsten leise immer näher. Er wusste er war nicht mehr allein.
Schweigend saß er auf der Grundmauer eines einstigen Familienhauses. Es wurde langsam klar wer ihn gefunden hatte.
„Wusste ich es doch“, sprach er leise lächelnd zu sich selbst. Er musste die Augen nicht öffnen um zu wissen, dass es Ryo war.
>Klack<
Das Bröckeln von Mauerfragmenten erfüllte die Stille zwischen ihnen.
Mit einem tiefen Seufzen öffnete er seine Augen und blickte auf das malerische Bild vor ihm.
Wolken in hellem Violett und Goldgelb gebadet hingen tief am Himmel. Nur noch Fragmente von Blau waren dazwischen zu sehen.
„Ich wünschte, ich könnte dieses Bild für immer festhalten.“ Seine Stimme war gedämpft, darauf bedacht die Magie des Augenblicks nicht zu brechen.
>Klack<
Mit Zeigefinger und Daumen gestreckt formte er einen Rahmen, versucht das Meisterwerk vor sich einzufangen.
„Weder…“, seine Hände ballten sich zu Fäusten, „…weder Malerei noch Fotografie können der Wirklichkeit gerecht werden.“
Seine Hände sanken wieder zurück auf die Mauer.
>Klack<
Gebannt betrachtete auch Ryo das magische Schauspiel, welches sich vor ihnen abspielte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
„Doch, du kannst dich an diesen Moment erinnern“, schlug Ryo vor.
Erinnern? War das genug?
Langsam strich er mit der Hand über die Mauer.
>Klack<
Seine eiskalte Hand verschränkte sich mit Ryos warmen Fingern.
„Wir sollten zurückgehen. Du wirst dich erkälten“, meinte Ryo nach einer Weile, selbst noch nicht bereit den magischen Ort zu verlassen.
„Ich wünschte wir wären in diesem Augenblick gefangen“, meinte er ohne auf Ryos Bedenken einzugehen.
„Ich nicht“, gab Ryo zu. „Du solltest dich nicht in diesem Moment allein verlieren. Es wäre besser in jedem Moment zu leben auch in den schlechten.“
Ein verächtliches Schnauben entkam seinen Lippen. Wie sollte das gehen?
„Du bist nicht alleine. Zusammen können wir alles schaffen“, flüsterte Ryo.
„Können wir das? Können wir…“ Er stockte, um Worte ringend. „Können wir so weiter machen? Sollten wir? Jeden Tag höre ich sie entscheiden, was richtig ist und was falsch, und ich werde so wütend!“ Er löste seine kalten Hände aus Ryos warmer Umklammerung und schlug verzweifelt gegen die Mauerruine.
>Klack<
„Wieso sind Menschen so grausam?“, wollte er wissen.
„Ich weiß es nicht“, seufzte Ryo, „aber ich weiß, dass es an uns ist etwas zu verändern.“
„Glaubst du das wirklich?“ Hoffnung durchflutete ihn wie das abendliche Sonnenlicht. Er wollte so gerne glauben.
„Wir werden es nie erfahren, wenn wir es nicht versuchen“, meinte Ryo und erhob sich von der Mauer. Mit einem Lächeln auf den Lippen zog er ihn mit sich.
Ja, Ryo hatte Recht. Irgendwie würden sie es schaffen die Welt davon zu überzeugen, dass ihre Liebe genauso viel wert war wie jede andere. Sie mussten nur damit beginnen.
>Klack
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